DAS IST GAR NICHT EINFACH. JEDER EINZELNE
HAT DIE BESTEN ABSICHTEN, TROTZDEM
KANN ES PASSIEREN, DASS UNTER DEN MITARBEITERN
EINE DYNAMIK ENTSTEHT, DIE
DAGEGEN ARBEITET.
Wahrscheinlich, weil die Vision interpretierbar
ist. Aber nicht, wenn die Vision klar ist und bei
jedem gleich ankommt. Das gibt es. Es ist keine
Utopie, eine Vision so scharf zu schneiden, dass
jeder das Gleiche darunter versteht. Es ist unsere
Führungsaufgabe, das so klar zu formulieren,
dass für jeden jeden Tag klar ist, wo es hingeht.
VIELLEICHT NOCH EINMAL KURZ ZURÜCK ZU
DEN ÄNDERUNGEN, DIE DER KATALYSATOR
CORONA IN DER ARBEITSWELT ANGESTOSSEN
HAT, WIE MEHR FLEXIBILITÄT: FINDEN
SIE PERSÖNLICH DIESE ÄNDERUNGEN
POSITIV ODER NEGATIV?
Ich finde sie auf jeden Fall positiv. Wäre nicht
Corona der Katalysator gewesen, wäre es etwas
anderes gewesen. Die Entwicklung wurde
dadurch natürlich ungemein beschleunigt, aber
sie hat auch alle unsere Herausforderungen sehr
plakativ aufgezeigt. Wovon ich echt übellaunig
werde, ist, wenn die Leute sagen, sie wollen
endlich wieder zurück zu „normal“. Die Normalität
gibt es nicht mehr, die Normalität war
eigentlich das Problem. Deswegen sehe ich das
als Chance, uns da wieder herauszumanövrieren.
Das wird an der einen oder anderen Stelle
furchtbar wehtun. Mir macht die Umwelt viel
größere Sorgen als Corona. Gegen Corona kann
28 BILDUNG & KARRIERE-GUIDE 2021
man unmittelbar etwas tun, wie Lockdown,
Masken oder Vakzine. Wenn alles brennt oder
überschwemmt wird, wird es schwierig, unmittelbar
etwas dagegen zu unternehmen.
Deswegen sehe ich Corona als Chance, die
Leute aufzuwecken und ihnen zu zeigen, dass
wir etwas tun müssen. Was mich frustriert, ist,
dass manche Menschen scheinbar einen Filter
vor den Augen haben und das anders sehen. Es
gibt immer noch unglaublich viele Leute, die
behaupten, die Klimaerwärmung wäre Zufall
und nicht vom Menschen gemacht. Das kann
ich nicht verstehen. Trotzdem muss ich damit
leben und es akzeptieren, dass viele es so sehen.
ALSO QUASI DIE PANDEMIE ALS AUGENÖFFNER
FÜR DIE WAHREN PROBLEME, VOR
DENEN DIE MENSCHHEIT STEHT?
Genau. Deshalb tue ich alles dafür, eben nicht
wieder zur Normalität zurückzukehren. Weil
ich denke, dass es das nicht mehr geben wird.
Die Schwierigkeit ist, herauszufinden, wie es
richtig weitergeht. Ich bin Fan von Yuval Noah
Harari (Anm.: Historiker und Autor) der sagt,
wir stehen an einem Scheideweg. Lassen wir die
künstliche Intelligenz unsere Arbeit machen?
Dann müssen wir aber schauen, dass der
Mensch weiterhin eine Bedeutung hat. Oder
lässt man dem Menschen einen Platz in der
Arbeitswelt? Harari sagt, dass soziale Berufe,
aber auch Philosophen ein ganz anderes
Gewicht bekommen werden. Viele der Entscheidungen,
etwa wenn es darum geht, wie ein
autonomes Fahrzeug im Fall eines Unfalls
reagieren soll, sind sehr philosophisch. An diesem
Scheideweg stehen wir. Ich kann nicht
absehen, in welche Richtung die Menschheit
sich bewegen wird.
WENN SIE DAS WÜSSTEN, HÄTTEN SIE
WAHRSCHEINLICH EINEN ANDEREN JOB.
Wahrscheinlich wäre ich dann auch Philosoph.
Aber zurückkommend auf das Talentmanage-
„Für Faulheit gibt es keinen wissenschaftlichen
Nachweis. Davon bin ich
wirklich überzeugt.“
Gertrud Hierzer, Vice President HR,
T-Systems Alpine