INNOVATIVE INDUSTRIE
40 starkem Wind auftritt, drehen daher die Betreiber der Anlagen
die Rotorblätter komplett aus dem Wind heraus. Das
führt zu langen Standzeiten, in denen kein Strom erzeugt wird.
„Das im Projekt entwickelte Demonstrator-BTK-Blatt verfügt
über eine Vorkrümmung, die Blattspitze ist in Rotationsrichtung
etwas nach hinten verschoben. Das 20 Meter lange Rotorblatt
ist somit in der Lage, sich bei starken Böen ein Stück weit um
die eigene Achse zu verdrehen und dem Winddruck gewissermaßen
auszuweichen“, erklärt der IWES-Technologiekoordinator
für BTK-Blätter, Elia Daniele. Das reduziert die Kräfte,
die auf das Blatt und letztlich die ganze Anlage einwirken. Die
Verwendung von BTK-Blättern an einer neu geplanten Windenergieanlage
erlaubt daher ein geringeres Gesamtgewicht der
Anlage, weil die Struktur weniger stark belastet wird. Bei
NEW BUSINESS • INNOVATIONS | MÄRZ 2018
bestehenden Anlagen kann durch den nachträglichen Einsatz
von BTK-Blättern der Rotordurchmesser erhöht werden, ohne
dass weitere Anlagenkomponenten angepasst werden müssen.
Dies führt durch eine höhere Windausbeute zu einer Ertragssteigerung.
TEST UNTER REALISTISCHEN BEDINGUNGEN
Um das neuartige Design zu testen, werden mehrere Wochen
lang statische und dynamische Tests im Rotorblattprüfstand
des Fraunhofer IWES in Bremerhaven durchgeführt. Erstmals
haben die Prü ngenieure dort ein BTK-Blatt montiert.
Das Blatt wurde vom Fraunhofer IWES ausgelegt und vom
Projektpartner DLR gefertigt. Im statischen Test wird die
Haltbarkeit bei Extrembelastung geprüft. „Der Aufbau für
den Torsionstest des Rotorblattes ähnelt zwar dem konventionellen
Szenario der statischen Prüfung, erfordert aber einen
höheren Aufwand für die exakte Messung der zusätzlichen
Verformung“, so IWES-Prü ngenieur Tobias Rissmann zur
besonderen Herausforderung dieses Tests. Mithilfe eines optischen
Messsystems wurde die Verformung entlang der drei
Hauptachsen überwacht. Zusätzlich kamen Winkelsensoren
zum Einsatz, um sicherzustellen, dass die Kraft auch wirklich
senkrecht zur Blattachse eingeleitet wurde. Während der anschließenden
dynamischen Tests (Ermüdungstests) werden
die Belastungen eines kompletten Rotorblattlebens von 20
Betriebsjahren in einem stark verkürzten Zeitraum nachgebildet.
Nach Abschluss der Prüfstandtests werden drei baugleiche
BTK-Rotorblätter in die USA verschifft. Dort, am Fuß
der Rocky Mountains, werden sie für einen Feldtest an eine
Forschungsturbine des Projektpartners National Renewable
Energy Laboratory (NREL) montiert. Die dann folgenden
Messungen, durchgeführt von Fraunhofer-Forschern, sollen
zeigen, ob die passive Verdrehung auch im praktischen Betrieb
unter freiem Himmel funktioniert wie erwartet. Für
diese Tests kommt auch ein im Projekt neu entwickeltes, sogenanntes
„Aeroprobe System“ zum Einsatz. Dabei messen
zwei Drucksonden an der Blattober äche die Umströmung
der Rotorblätter. Zudem wird die Strömung am Rotorblatt
durch Wollfäden sichtbar gemacht. Auf diese Weise können
die Fraunhofer-Experten die aerodynamischen Verhältnisse
exakt ermitteln. Innerhalb des Blattes messen weitere
Sensoren die Beschleunigung an den Blattspitzen, während
Kamera-Re ektor-Systeme Verformungen detektieren. Das
Fraunhofer IWES plant nicht, selbst Rotorblätter zu konstruieren;
vielmehr soll Know-how aufgebaut und den Industriepartnern
zugänglich gemacht werden. Das BTK-Blatt dient
als Technologiedemonstrator und soll die Nutzbarkeit dieser
Technologie an kommerziellen Blättern untersuchen.
Das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie
(BMWi) fördert das Projekt „SmartBlades2“ mit 15,4 Mio. Euro
Gesamtprojektvolumen. Auf Industrieseite sind verschiedene
Blatt- bzw. Anlagenhersteller beteiligt, um das Potenzial für
den industriellen Einsatz zu untersuchen. MW
Fotos: Fraunhofer IWES, Pascal Hancz