Martin Zahlbruckner, Präsident von Austropapier, im Interview mit NEW BUSINESS © RNF
"Der Hut brennt lichterloh", sagt Austropapier-Präsident Martin Zahlbruckner. Was es jetzt braucht, um den Standort Österreich zukunftssicher aufzustellen, verrät er im Interview.
Die österreichische Papierindustrie, mit ihren rund 8.000 hochqualifizierten Fachkräften, stellt jedes Jahr etwa 4 Millionen Tonnen Papier, Karton sowie Spezialprodukte her. Sie hat nicht nur einen hohen Impact auf die heimische Wirtschaft, sondern ist auch hochgradig exportorientiert – und energieintensiv. Damit ist klar: Die letzten Jahre waren für die Branche alles andere als einfach und Herausforderungen gibt es an allen Ecken und Enden (siehe dazu auch "Papierindustrie – Aufholjagd mit Handicap").
Doch die Branche scheut diese Herausforderungen nicht, wie Martin Zahlbruckner, Präsident von Austropapier, der Vereinigung der österreichischen Papierindustrie, im Gespräch mit NEW BUSINESS betont. Im Gegenteil: Sie hat sich in Sachen Nachhaltigkeit als Vorreiterin positioniert und ist mehr als bereit, ihren Beitrag zu leisten. Doch dafür braucht es die passenden Rahmenbedingungen – und den politischen Willen zu sinnvollen Maßnahmen, um die Zukunft des Standortes Österreich zu sichern.
Herr Zahlbruckner, schon in unserem Interview vor drei Jahren (siehe dazu auch "Der grüne Anspruch ist goldrichtig") haben Sie davor gewarnt, dass die Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Industriestandorts in Gefahr ist. Wie hat sich die Situation in der Zwischenzeit entwickelt?
Wir haben vor drei Jahren gesehen, dass die Entwicklung gefährlich werden kann, wenn Europa in Sachen Sustainability nicht genügend Vorbildwirkung entfaltet. Und die großen Wirtschaftsblöcke – Amerika auf der einen Seite, China auf der anderen Seite, gefolgt von Südostasien – folgen Europa leider nicht so wie von der Kommission erhofft. Sehr erfreulich ist, dass die Konsumenten weltweit Sustainability ernst nehmen. Aber die Umsetzungsmodelle sind völlig unterschiedlich. Europa versucht, es durch Vorschriften und Verpflichtungen zu erzwingen, während es in den meisten anderen Regionen dem Markt überlassen wird. Große Markenhersteller zum Beispiel nehmen das Thema sehr ernst, gehen stark in Richtung Nachhaltigkeit und Reduktion von Umwelteinwirkungen. Diesen Trend unterstützen wir komplett, darin ist die österreichische Papierindustrie Vorreiterin und das ist auch eine große Chance.
Aber Europa wollte zu vieles zu schnell und hat sich damit um die internationale Wettbewerbsfähigkeit gebracht. Wir haben enorm hohe Energiekosten. Es ist eine nicht nur teure, sondern eine mittlerweile in diesem Ausmaß unvorstellbare Verwaltungsbürokratie entstanden – das war vor drei Jahren noch nicht absehbar. Die große Frage ist: Wie kommen wir da wieder raus?
Ist es tatsächlich in so kurzer Zeit so viel schlimmer geworden?
Man muss vorsichtig sein und darf die guten Ideen des Green Deals, des Klimaschutzes, des Umweltschutzes, die zum Teil miteinander in Konkurrenz stehen, nicht schlechtreden. Wir sind als österreichischen Papier- und Zellstoffindustrie mit der Überzeugung, dass Sustainability für die nächsten Generationen eines der bestimmenden Themen sein wird, in eine große Vorleistung gegangen. Zugegeben, noch ist es eine Hoffnung, dass wir klimaschonend agieren werden, aber für die Welt ist es rational gesehen eine Notwendigkeit. Die Methodik, mit der Europa an die Sache herangegangen ist, war aber nicht ausgereift, überambitioniert, oder eine Mischung aus beiden.
Das rächt sich jetzt. Gefahr Nummer eins ist, dass die europäische Wirtschaft in eine so schwache Position gerät, dass wir von billigen Importen primär aus Asien oder durch Tarife und gestützte Wettbewerbsteilnehmer in den USA überrollt werden. Gefahr Nummer zwei ist, dass die politische Stimmung kippt und die grüne Idee kaputtgemacht wird. Beides ist schlecht. Es ist Aufgabe der Politik, einen dritten Weg zu finden. Die ist derzeit jedoch mit vielen Themen gleichzeitig beschäftigt: militärische Aufrüstung, internationaler Wettbewerb, reduzierte Staatseinnahmen durch die wirtschaftliche Entwicklung, demografische Verschiebungen. Es ist aber keine Option, den grünen Gedanken wegzuschieben – im Gegenteil.
Ist die Sorge um die österreichische Papierindustrie und um den Standort größer geworden?
Die Sorge nicht, sondern der Wille einen Weg zu finden, diese Anliegen den europäischen und österreichischen politischen Entscheidungsträgern zu vermitteln. Wir erbringen seit langer Zeit – ich kann auf 20 Jahre in dieser Industrie zurückblicken – eine enorme Investitionsleistung in Wettbewerbsfähigkeit, eine enorme Innovationsleistung und eine enorme Investitionsleistung für Klimaschutz. Durch Eigenleistung ist die österreichische Papierindustrie wettbewerbsfähiger als die unserer Nachbarländer. Aber unsere Nachbarländer unterstützen die Industrie zum Beispiel durch einen Strompreisausgleich in Millionenhöhe pro Betrieb. Wir haben das in Österreich aus völlig unverständlichen Gründen nicht. Aber es ist eine sehr zu hinterfragende Wirtschaftspolitik, die eigene, gesunde und wettbewerbsfähige Wirtschaft gegen jene in anderen Ländern schlechterzustellen. Damit bewegt man sich in die falsche Richtung. Jetzt hoffen wir auf die neue Bundesregierung. Sie muss rasch erkennen, worum es hier geht, und agieren.
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Wie sehen Sie die Chancen, dass auch in Österreich ein sinnvoller Strompreisausgleich beschlossen wird?
Die Chancen sind schwer zu beurteilen. Die Hoffnung ist groß. Die Notwendigkeit ist zu 100 Prozent gegeben. In allen unseren Nachbarländern wird ein erklecklicher Anteil der CO2-Abgaben, die die Industrie bezahlt, rückvergütet – auf Anraten der Europäischen Kommission. Nur in Österreich nicht. Dabei geht es darum, ob ein Unternehmen Gewinn macht oder nicht. Einige der Mitgliedsbetriebe von Austropapier werden sich heuer leider mit ihrer Ertragslage sehr schwertun. Sie tragen genauso ihre KV-Erhöhungen, kommen ihrer sozialen Verpflichtung nach und geben nicht auf. Würde man Ihnen einen Teil ihrer Energieausgaben rückerstatten, könnten sie an ihrer Zukunft arbeiten. Aber die derzeitige Situation hat eine Frage in den Raum gestellt: Bleiben wir noch in Österreich? Und das ist schade. Hätten wir diese Vergütung, würde bei uns investiert werden, in die Zukunft, und wir hätten einen Vorsprung.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben vom Austrian Institute of Technology die Energiekosten der bayerischen Papierindustrie, gleich über der Grenze, mit der österreichischen vergleichen lassen. Die Netzentgelte der mittelständischen österreichischen Papierindustrie sind 75 Prozent höher, die Stromkosten 50 Prozent. Natürlich subventioniert Deutschland den Strom. Sonst wäre der Unterschied 25 Prozent. Aber nur die Kosten, die im Unternehmen landen, sind relevant. Dazu muss man wissen, dass die Exportquote der österreichischen Papierindustrie bei fast 90 Prozent liegt. Der Durchschnitt liegt in der österreichischen Industrie bei rund 60 Prozent. Das heißt, wir sind abhängig von Exporten.
Dann lassen Sie mich ganz konkret fragen: Wie sehr brennt der Hut und wie ließe er sich löschen?
Der Hut brennt lichterloh. Und im Grunde haben wir da ein kaskadisches Modell der Komplexität. Die Lösung ist nicht trivial. Auf Regierungsebene gibt es die Pflicht, einen Interessenausgleich zu finden und nicht nur die Papierindustrie zu unterstützen. Aber die Papierindustrie stellt einen sehr großen volkswirtschaftlichen Multiplikator dar. Wir haben sehr viele lokale Partner und Lieferanten und erarbeiten eine extrem hohe Wertschöpfung in Österreich. Außerdem bilden wir selbst und auf eigene Kosten hochwertige Arbeitskräfte aus, die sehr gut bezahlt werden. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Papierindustrie sind in allen Branchen in Österreich sofort einsetzbar. Umgekehrt ist das nicht der Fall. Der Nutzen für die Gesellschaft ist extrem hoch.
Was es braucht, ist an erster Stelle das sogenannte Strompreiskosten-Ausgleichsgesetz (SAG), also die Rückerstattung eines Teils dessen, was über CO2-Abgaben eingenommen wird, damit weiter investiert werden kann. Die Industrie will nicht an CO2-Abgaben verdienen, sondern sie will, dass das CO2 weniger wird. Das wird in Österreich pervertiert. Hier soll man einerseits bezahlen und sich andererseits selbst darum kümmern, dass der CO2-Ausstoß sinkt. Dieses SAG hat enorme Bedeutung für die Zukunft der durchwegs mittelständischen Papierindustrie und ist ein kleiner, aber ein wesentlicher erster Schritt. Und zwar – das ist sehr wichtig – mit Gültigkeit bis 2030, so wie es auch alle anderen europäischen Länder gemacht haben, um Planungssicherheit zu geben und damit ein Signal zu setzen, dass es sich lohnt, wieder am Standort Österreich zu investieren.
Um die Investitionen anzuschieben könnte man diese Rückvergütung auch ein Jahr rückwirkend bezahlen. Das ließe sich auch an konkrete Investitionen koppeln. Das wäre ein echter Durchbruch.
Und das muss jetzt passieren?
Ja, das muss jetzt kommen. Der zweite Punkt ist, dass der Anteil an grüner Energie in der österreichischen Papierindustrie stetig wächst und bereits bei fast 70 Prozent liegt. Die weitere Steigerung ist nicht einfach. Dafür braucht es Elektrifizierung. Dafür braucht es Netze. Und die Errichtung dieser Netze kostet im gesamten Europa unglaubliche Milliardenbeträge. Wir brauchen einen Staatsfonds, der die Finanzierung dieser Netze auf die nächsten 30 bis 50 Jahre übernimmt. Das können private Unternehmen nicht leisten. Es ist eine kernstaatliche Aufgabe, die Elektrifizierung durch den Bau von Netzen zu unterstützen, durch Zusammenarbeit und Partnerschaftsvereinbarungen – im Norden für Wind, im Süden für Solar, durch Umstellung der Speicher von Gas auf Wasserstoff. Dann wissen wir, was uns Wasserstoff in zehn Jahren kosten wird. Dann wissen wir, dass genug für mehrere Monate gelagert wird. Dann kommen wir auch über schwierige Phasen. Das wird ein nationaler Kraftakt und die Industrie freut sich darauf, daran teilzunehmen und zu investieren. Wird das konsequent umgesetzt, haben wir in Österreich in sieben, acht Jahren zu 100 Prozent grünen Strom. Das ist technisch machbar.
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Wie wichtig ist das für die heimische Wettbewerbsfähigkeit?
Ich kann Ihnen aus meinem Unternehmen ein Beispiel geben. Wir haben am Standort in Österreich ein neues Produkt für einen großen Lebensmittelhersteller entwickelt. Der Kunde ist begeistert und will einen Mehrjahresvertrag abschließen. Aber er möchte das Produkt nicht in Österreich produzieren lassen, sondern in Finnland, weil er einen Product Carbon Footpint von Null beziehen will und sagt, der österreichische Staat hat für die nächsten Jahre keine Strategie für die Dekarbonisierung. Der finnische Standort von Delfort wird ab 2026 zu 100 Prozent elektrifiziert sein und Finnland fährt ein Modell aus Wasserkraft und Nuklearstrom – das ist dekarbonisiert.
Was bedeutet das für Standortentscheidungen? Die Bundesregierung muss Zeichen setzen und die Industrie wird ihren Teil dazu beitragen. Niemand will weg vom Standort Österreich. Die Österreicherinnen und Österreicher sind geniale Kolleginnen und Kollegen. Von der Führung bis zur Basis, von der Basis in die Führung. Das ist ein Schatz, den wir hier haben. Außerdem ist es unglaublich schön, hier zu leben.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass es zumindest zu einem Großteil der heute angesprochenen Maßnahmen kommen wird?
Die Sachzwänge sind zu groß. Ich sehe keinen anderen Weg. Sich durchzuschwindeln, es zu ignorieren und der nächsten Regierung zu überlassen, wird nicht funktionieren. Daher bin ich zuversichtlich. Wenn es uns gelingt, uns zu artikulieren, muss eine neue Bundesregierung, wie wir sie jetzt haben, in diese Richtung gehen. Ob sie auch den Weitblick hat, diese Dinge anzugehen, werden wir in ein paar Wochen oder Monaten wissen. (RNF)
Übrigens: Einen Video-Zusammenschnitt des Interviews mit Martin Zahlbruckner finden Sie auch auf unserem LinkedIn-Profil unter diesem Link.