Sie befinden sich hier:  Home  |  NEW BUSINESS  |  NR. 8, OKTOBER 2020  |  Auf Schatzsuche ...

Auf Schatzsuche ...

NEW BUSINESS - NR. 8, OKTOBER 2020
Kreative Mitarbeiter können Krisen eher als Chance wahrnehmen. © Adobe Stock/Andrey Kuzmin

Krise bedeutet Veränderung, und Veränderungen können neue unternehmerische Möglichkeiten eröffnen. Das sagt sich leicht! Aber was ist das Erfolgsrezept von Unternehmen ...

...  die besser durch stürmische Zeiten kommen? 

Woran liegt es, dass manche Unternehmen besser durch die Krise kommen als andere? Diese Frage wird in Zeiten der Ungewissheit, und des Umbruchs oft gestellt. Die WU Executive Academy hat in einer Studie versucht, dem Mysterium auf den Grund zu gehen und kam zu zwei sehr spannenden Schlüssen. Weiterführend sprachen wir mit dem Wirtschaftspsychologen Klaus Vollmer über Handlungsempfehlungen für die Zukunft und die Macht des Perspektivenwechsels.

Veränderung über Nacht
Eine kleine Geschichte vorweg: BüBa ist ein mittelständisches Büro- und Industriereinigungsunternehmen in Deutschland, das 2019 mit dem TOP-100-Innovationspreis ausgezeichnet wurde. Bedingt durch Corona gab es im März 2020 fast über Nacht eine riesige Nachfrage nach Desinfektionsmitteln. Unternehmen, Arztpraxen und private Haushalte: Plötzlich wollte alle Welt klein portionierende Spender, um sich die Hände wirksam desinfizieren zu können. Doch eine Gelegenheit zu entdecken, genügt nicht. Man muss sie auch nutzen.
Als Reinigungsdienstleister hatte das Unternehmen große Mengen an Desinfektionsmitteln selbst vorrätig – es ist ihr zentraler „Rohstoff“. Die Pumpspender dagegen fehlten ihnen für diesen völlig neuen Markt. Im ersten Schritt wandte sich BüBa an die üblichen Lieferanten. Doch deren Kapazitäten reichten bei Weitem nicht aus. Was tun? Druck machen? Abwarten? Sich dem Schicksal fügen? Einem Mitarbeiter fiel eine Lösung ein: Verkauft nicht auch Ikea Spender? Sofort wurden sämtliche Ikea-Filialen kontaktiert, in ganz Deutschland und auch im angrenzenden Frankreich.
BüBa kaufte alles, was zu bekommen war. Doch wie kann man die Massen an Spendern von dort schnellstmöglich zur Zentrale zu bringen? Klassische Logistikdienstleister waren nicht schnell genug. Erneut ließen sich die Mitarbeiter etwas Neues einfallen und nutzten die Mitfahrzentrale für den Transport. Auch für Abfüllung und Auslieferung musste BüBa neue Wege beschreiten – im Grunde wandelte sich das Unternehmen praktisch über Nacht von einem Dienstleistungsunternehmen zu einem erfolgreichen Produktionsbetrieb. Der neue Markt wurde durch ein hohes Ausmaß an Flexibilität erschlossen, getrieben durch die unternehmerische Herangehensweise der Mitarbeiter.

Der Schatz im eigenen Haus
Um dieses Muster systematisch zu untersuchen, hat Nikolaus Franke, wissenschaftlicher Leiter des Professional MBA Entrepreneurship & Innovation der WU Executive Academy, 130 Manager aus dem Umfeld des Instituts befragt, wie sie die Corona-Krise erlebt haben. Der Fall des deutschen Unternehmens BüBa erscheint dabei prototypisch. Bemerkenswert: Es zeigte sich, dass bei den 130 Unternehmen die bestehenden Lieferanten nur bei 16 % entscheidend für die unternehmerische Bewältigung der Krise waren. Auch die Kunden (24 %), Kooperationspartner (29 %) und Staat (20 %) spielten eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. „Der eindeutige Schlüsselfaktor war auch hier mit über 70 % die Innovativität der eigenen Mitarbeiter. Ihre Kreativität und ihr Einsatz war entscheidend für den Erfolg“, erklärt Franke.

Auf den richtigen Nährboden kommt es an
Die umfangreiche Untersuchung der WU Executive Academy bestätigt auch die Bedeutung von agilen und innovationsorientierten Strukturen. Gefragt nach den wichtigsten Lehren aus der Corona-Krise war dieser Faktor mit 66 % der Antworten mit Abstand am wichtigsten, weit vor Investitionen in IT (27 %). Flache Hierar­chien, Dezentralisierung und eine schnelle, lernorientierte und flexible Gestaltung von Prozessen ermöglichen es, sich veränderten Umweltbedingungen so anzupassen, dass eine Krise tatsächlich als Chance wahrgenommen werden kann.

Was die Ergebnisse für Unternehmen bedeuten (sollten)
Aus der hohen Bedeutung der Mitarbeiter und innovationsorientierter Strukturen zieht Nikolaus Franke zwei Schlüsse:
• Erstens sollten Unternehmen weiter in die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter investieren. Sie sind die Initiatoren und Treiber von Anpassungsreaktionen – oder eben die Verhinderer.
• Um dieses Potenzial zur Entfaltung zu bringen, braucht es zweitens agile und innovationsorientierte Strukturen. Kommen diese Dinge zusammen, können Unternehmen die Krise tatsächlich als unternehmerische Chance nutzen. „In unserer Studie haben tatsächlich 91 % der Unternehmen neue Geschäftsmöglichkeiten identifiziert und knapp jedes zehnte sogar drastisch neue Möglichkeiten mit klarem Disruptionspotenzial entwickelt“, so Franke.

Handlungsempfehlungen aus Sicht eines ­Wirtschaftspsychologen
Agile Unternehmen ermöglichen also schnelles und flexibles Agieren und Reagieren, sowohl in ihren Strukturen und Prozessen wie auch in der Art der Führung. Aber wie sinnvoll sind die so gehypten „Agilitätsprogramme“ in Krisenzeiten wie diesen? NEW BUSINESS sprach mit dem Wirtschaftspsychologen und Coach Klaus Vollmer über die gegenwärtigen Schwierigkeiten und Aufgaben von Managern und Führungskräften. Für ihn ist klar, dass durch die Pandemie Skills wie Anpassungsfähigkeit und Kreativität in den Vordergrund rücken und dass hier große Herausforderungen auf Führungskräfte zukommen. Er möchte den Begriff der Agilität jedoch nur mit Vorsicht genießen: „Ich würde den Ball da lieber etwas flacher halten und jetzt nicht mit Begriffen wie VUCA-Welt, Agilität oder Scrum für zusätzliche Verwirrung sorgen oder gar Heilsversprechen in die Welt setzen. Bei vielen Führungskräften, die jetzt solche Begriffe hören, ist die Besorgnis groß, dass wieder nur eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird, die Berater reich macht, während sie selbst mit den Problemen des Corona-Alltags kämpfen“, erklärt er seinen Blickwinkel. „Und daraus entstehen Skepsis und innerer Widerstand gegenüber vielleicht sehr sinnvollen Ansätzen und Maßnahmen.“ Natürlich sei es richtig, dass Organisationen und Unternehmen immer mehr in einem Umfeld agieren müssten, das sich als sehr volatil, unsicher, komplex und mehrdeutig darstellt, so Vollmer. Corona sei dafür das passende und für viele auch dramatische Beispiel. Und natürlich sind agile Unternehmen, die in ihren Strukturen, Prozessen und der Art der Führung schnelles, flexibles Agieren und Reagieren ermöglichen, im Vorteil. „Aber die Frage ist doch, wie komme ich als Unternehmen da hin? Und das geht nicht nach dem Motto: One fits all!“, zeigt der Psychologe seine Bedenken.

Unternehmen dort abholen, wo sie stehen
Das langfristige Ziel der Agilität ist also durchaus sinnvoll – den direkten Sprung in die neue agile Welt erachtet Vollmer jedoch für viele Unternehmen zu groß. „Ob wir in Großunternehmen oder in den Mittelstand hineinschauen: In der weitaus größten Anzahl bestimmen noch immer starre Hierarchien und Prozesse den Arbeitsalltag. Führung ist vielfach sehr fachlich ausgerichtet und es existiert ein klares Machtverhältnis.“ Der Coach würde also in einem ersten Schritt raten, einfach nah an der Mannschaft zu sein. Fragen zu stellen wie: Was beschäftigt die Menschen im Unternehmen? Welche Fragen haben sie? Welche Ängste und Sorgen, aber auch welche Hoffnungen und Chancen treiben sie um? „Auch wenn ich als Führungskraft darauf selbst keine Antworten habe, sollte ich zuhören und verstehen wollen. So komme ich in einen konstruktiven Dialog und Erfahrungsaustausch, der über die aktuelle Situation hinaus zu Ideen für die Zukunft führen kann“, so Vollmer. Es geht also darum, enger zusammenzurücken, miteinander zu sprechen, sich gegenseitig Feedback zu geben, Bestehendes infrage zu stellen und gemeinsam an der Unternehmenszukunft zu arbeiten. „Also ein Schritt in Richtung Agilität, ohne vollmundige Ankündigungen und großes Programm“, schlägt er vor.

Zuversicht als wichtiger Baustein für kreative Ideen
Der bekante österreichische Psychiater und KZ-Überlebende Viktor Frankl meinte einst: „Nicht das Problem macht die Schwierigkeiten, sondern unsere Sichtweise.“ Auch Klaus Vollmer teilt diese Ansicht – denn Corona ist Fakt, daran ist nicht zu rütteln. Was in unser aller Macht liegt, ist unser Umgang damit. „Wenn ich gefragt werde, was können wir tun, um uns von der Situation nicht unterkriegen zu lassen, dann sage ich, wechseln Sie möglichst oft die Perspektive. Lassen Sie sich nicht anstecken von Kollegen oder Freunden, die ausschließlich schwarzmalen. Tauschen Sie sich mit denjenigen aus, die bei allem Sinn für die Realität auch zuversichtlich sind.“ Dabei gehe es Vollmer keineswegs darum, die rosarote Brille aufzusetzen: „Es geht mir darum, mit dem Wechsel der Perspektive Energie für notwendige Veränderungen aufzubauen und im Kopf wieder Raum für neue Ideen zu schaffen. Und das geht, wie jeder von sich selbst kennt, mit Zuversicht nachweislich besser.“ Und hier schließt sich auch der Kreis zu den Erfolgsrezepten, die die WU Executive Academy untersucht hat: Kreativ und innovativ ist der, der ein Problem erkennt, Raum bekommt, an einer Lösung zu arbeiten, und die Zuversicht hat, dass es dadurch besser werden kann. Und das Gerüst dafür ist ein Unternehmen mit möglichst agiler Struktur. Klaus Vollmer meinte dazu abschließend: „Wenn viele Menschen den Blick anstatt auf das Verlorene von gestern auf nachhaltige Lösungen für morgen richten, dann werden wir auf jeden Fall gestärkt aus dieser Krise hervorgehen.“ (VM)

INFO-BOX
Über Prof. Dr. Nikolaus Franke
Nikolaus Franke ist Akademischer Leiter des Professional MBA Entrepreneurship & Innovation und Leiter des Instituts für Entrepreneurship & Innovation, des WU Gründungszentrums und der User Innovation Research Initiative an der WU Wien. 

Über Klaus Vollmer
Klaus Vollmer arbeitet seit 2000 freiberuflich als Berater, Coach und Trainer im Bereich Managementdiagnostik, Veränderungsmanagement, Prozessberatung, Organisations- und Teamentwicklung, Konfliktmanagement, ­Einzel- und Teamcoaching. Die von ihm entwickelte ­Methode des Perspektivenwechsels wendet er dabei ­erfolgreich an. Sein Buch „Perspektivenwechsel als ­Methode“ ist im Beltz Verlag erschienen.