Virtuelle Realitäten

NEW BUSINESS Guides - TRANSPORT- & LOGISTIK GUIDE 2017
Die Möglichkeiten, in der Mixed Reality Informationen im Raum stets objekt-, vorgangs- und standortbezogen anzuzeigen und Eingaben überall zu ermöglichen, bedeuten eine Flexibilisierung der Abläufe. © 2016 YAVEON AG

Effizientere Prozesse durch Unterstützung im virtuellen Raum

Der wachsende Einsatz von digitalen Technologien im Bereich der Logistik soll Kosten sparen, die Effizienz steigern und für produktivere und zufriedenere ­Mitarbeiter sorgen. Momentan stellen virtuelle Realitäten aber gerade für die ­Letztgenannten noch eher eine Hürde denn eine Hilfe dar.

Ob bei der Wartung von Maschinen, der Kommissionierung von Waren, der Entwicklung und Vermarktung neuer Produkte, im Operationssaal oder im Klassenzimmer – die Einsatzmöglichkeiten von vernetzten Visualisierungslösungen sind heutzutage nahezu grenzenlos. Dementsprechend groß ist die Euphorie in der weltweiten Wirtschaft. So rechnen etwa die Analysten der Beratungsfirma Digi Capital bis 2020 mit einem Umsatzpotenzial von 120 Milliarden US-Dollar. Virtual und Augmented Reality seien längst keine Nischentechnologien der Spiele­industrie mehr, sondern hätten nach Meinung von Wirtschaftsgrößen das Potenzial, das nächste große Ding zu werden, so die Analysten.
Schon vor einigen Jahren wurde der kurz bevorstehende Durchbruch von Virtual (VR) und Augmented Reality (AR) prophezeit. Langsam, aber sicher scheint es mittlerweile tatsächlich so weit zu sein. Die Geräte werden zunehmend erschwinglich, und zahlreiche neue Anwen­dungen zeigen mittlerweile das weitreichende Potenzial der neuen Technologien. Zumindest wenn es nach den Experten einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Plattform „Digital Business Trends“ geht.
„Vom Vorbild eines Holodecks aus der Serie ,Star Trek‘ sind wir noch ein bisschen entfernt. Wir sind ihm seit dem Hype vor ein paar Jahren aber schon ein gutes Stück nähergekommen“, erklärt Annette Mossel von der Technischen Universität (TU) Wien. Die jüngsten Entwicklungen bei Virtual und Augmented Reality könnten die Grenzen diverser Geschäftsbereiche jedenfalls deutlich erweitern.

Chancen in der Logistik
Die Anwendungsmöglichkeiten für VR seien dabei vielfältig. Besonders in der Fertigung, der Logistik oder bei Wartungstätigkeiten würden sich viele Chancen bieten. Allerdings sei der Formfaktor mancher Lösungen noch nicht ­optimal, daran müsse noch gearbeitet werden. Allerdings hätten Mossel zufolge Handys „vor 15 Jahren“ auch noch anders ausgesehen. ­Wearables würden beispielsweise im Vergleich zum Smartphone in der Hand deutliche Vorteile bieten. In den kommenden Jahren bleibe das – weitverbreitete und günstige – Smartphone ­dennoch die Hauptplattform, prophezeit die Expertin. Langfristiges Ziel sei aber dennoch die gerätelose, intuitive Interaktion.
Mit Augmented Reality könnte man sich beispielsweise auf dem Flughafen den Weg zum Gate einblenden lassen, ergänzt Markus Meixner vom Software-Entwickler ViewAR. Wenn die Waschmaschine einen Fehlercode anzeige, reiche es, sie durch die Handykamera zu betrachten, um die Problemlösung angezeigt zu bekommen. Für Lufthansa Cargo habe man ein Planungstool entwickelt, mit dem Frachtpaletten gescannt und das Volumen berechnet werden, um den Frachtraum optimal auszunutzen.

Prozesse mittels VR verändern
„In Zukunft werden AR-Anwendungen an vielen Stellen zum Einsatz kommen und bisherige Abläufe und Prozesse verändern, wenn nicht sogar revolutionieren“, meint Franz Dornig von IBM Österreich. Bei der Benutzerfreundlichkeit gebe es aber teilweise noch Nachholbedarf. Gut funktionieren würden bereits Head-up-Displays in Autos. Abgesehen von den visuellen gebe es noch viele weitere Benutzerschnittstellen. So hätte man auch bei der Sprachsteuerung die Hände frei. Künftig würden diese verschiedenen Möglichkeiten immer stärker zusammenwachsen. Für die Unmengen an Daten, die durch 3D-Simulationen entstehen, brauche es aber ­entsprechende Plattformen wie IBM Watson, um Relevantes herauszufiltern.
Immer wieder gab es Versuche, VR außerhalb spezieller Einsatzgebiete zu etablieren; in den 90er-Jahren beispielsweise mit Virtuality, einer VR-Brille mit einem Pod, in dem man stehen konnte. VR verbindet die Wirklichkeit mit einer interaktiven, virtuellen Umgebung. Dies geht über Augmented Reality hinaus, wo die reale Welt mit zusätzlichen virtuellen Inhalten angereichert wird. So lassen sich beispielsweise über ein Kamerabild Produkte aus Katalogen mittels 3D-Modell direkt in die Warenkette einpassen.

VR-Einsatz im Nachtumschlag
In der Logistik gilt VR für viele Hersteller als Hoffnungsträger. So will die ELVIS AG auf der Fachmesse transport logistic unter anderem den Einsatz einer VR-Brille beim Nachtumschlag im Zentral-Hub zeigen. „Mithilfe eines virtuellen Rundgangs machen wir unsere Leistungen im Knüllwald-Hub für die Messebesucher erlebbar“, erklärt Jochen Eschborn, Vorstandsvorsitzender der ELVIS AG. Dafür könnten die Besucher eine VR-Brille aufsetzen. Bei einem Spaziergang durch den Hub würden sie anschließend die allnächt­lichen Arbeitsabläufe erleben. „Bei einem Nachtumschlag geht es zu wie in einem Bienenstock, dutzende Mitarbeiter be- und entladen bis zu 80 Lkw pro Nacht“, erklärt Eschborn. ­Teilnehmer des ELVIS-Teilladungssystems hätten in Knüllwald die Möglichkeit, ihre nicht kombinierbaren Teilladungen des jeweiligen Tages in den Nachtstunden einzuspeisen. Das System gewährleiste somit, dass alle Aufträge in der gleichen Nacht den Hub wieder in die vorgesehenen Ziel­regionen verlassen würden. Zudem präsentiert das Unternehmen den Onlineshop Truckstar. Über die neue Plattform biete der Verbund Produkte und Dienstleistungen für den Speditionsalltag.

Produktionslogistische Prozesse abdecken
Wie der VR-Einsatz in der Realität aussehen kann, zeigt auch das Beispiel des mittelständischen Lackherstellers Bergolin. Im Rahmen eines Pilotprojekts wurde dort unlängst der Einsatz von Microsofts HoloLens in den produktionslogistischen Prozessen der Lackherstellung getestet. „Mir ist es wichtig, dass alle Vorgänge im Unternehmen in Echtzeit zurückgemeldet werden. Nur so können wir Industrie 4.0 in der Produktion und Logistik erreichen“, erklärt Christoph ­Heinen, Leiter IT und Controlling bei Bergolin. Da die Mitarbeiter in der Produktion schwere, chemikalienbeständige Handschuhe tragen, mussten diese bislang immer ausgezogen werden, bevor am Industrieterminal die Rückmeldung eingegeben werden konnte. Außerdem seien diese Terminals nur an bestimmten Plätzen in der Produktion verteilt. „Das führt dazu, dass die Mitarbeiter versuchen, alle Rückmeldungen gesammelt nach der Arbeit mit den Chemikalien im System zu erfassen.“
Mit der HoloLens wurde der Produktionsraum hingegen virtuell mit mobilen Terminals und 3D-Touchpoints ausgestattet, die beliebig im Raum verteilt und bei Bedarf mit dem Anwender bewegt werden konnten. Vorteil: Eine einfache Gestensteuerung war auch mit schweren Handschuhen problemlos möglich. Dadurch stand einer direkten Erfassung aller Vorgänge in Echtzeit nichts mehr im Wege. Da die HoloLens keinen geschlossenen Raum darstellt, sondern wie ein Head-up-Display im Auto der realen Umgebung Informationen im Gesichtsfeld hinzufügt, wurden auch keine neuen Abläufe benötigt, womit die Orientierung in der Produktion vollständig gegeben war.

Im 3D-Raum in Echtzeit agieren
Die Unternehmen Yaveon und daenet haben dabei in einem gemeinsamen Projekt die Dialoge für die Fertigungsaufträge aus Microsofts Dynamics NAV und der Branchenlösung Yaveon-Probatch in den virtuellen Raum einer Mixed Reality gebracht. Es sei geplant, eine universelle Dialogführung für logistische Prozesse in der HoloLens für Microsofts Dynamics NAV und Yaveon-Probatch mit Windows 10 bereitzustellen. „Bisher war es nicht möglich, mit einem in Echtzeit erzeugten 3D-Modell eines Raums dynamisch zu interagieren. Wir freuen uns, bei Bergolin der bisherigen Bandbreite der Einsatzgebiete eine neue Anwendung im praktischen Test hinzugefügt zu haben“, sagt Andreas Erben, Spezialist für HoloLens (Microsoft MVP Emerging Experiences) bei daenet.
„Die Möglichkeiten, in der Mixed Reality Informationen im Raum stets objekt-, vorgangs- und standortbezogen anzuzeigen und Eingaben überall zu ermöglichen, bedeuten eine deutliche Flexibilisierung in den Abläufen“, ergänzt Marcus Kotsch, Produkt- und Portfoliomanager bei ­Yaveon. Bergolin, daenet und Yaveon hätten daher vereinbart, Fragen der Arbeitssicherheit, der Ergonomie und der Prozesseffizienz in einem erweiterten Feldtest mit mehreren HoloLens-Arbeitsplätzen unter wissenschaftlicher Begleitung zu beantworten. „Uns ist es daran gelegen, den Einsatz dieser Technologie im industriellen Umfeld mit der nötigen Sorgfalt vorzubereiten. Gerne nehmen wir auch Hardware-Partner in diesen Versuch mit auf, die Fragen des Ex-Schutzes und der Arbeitssicherheit mitbeantworten“, unterstreicht Kotsch.

VR für den Mittelstand
CMC ViewR ist eine Virtual-Reality-Lösung für den Mittelstand. Speziell ausgerichtet auf kleine und mittlere Unternehmen bietet die Lösung die Möglichkeit, mit einem geringen Maß an Aufwand in das Themengebiet der Virtual Reality einzusteigen.
So können beispielsweise Sondermaschinenbauer ihre Konzepte einfach und benutzerfreundlich visualisieren, evaluieren und ihren Kunden präsentieren. Für die Sicherung der Baubarkeit und Servicefähigkeit kann etwa der Konstrukteur mit seinem Design interagieren und so unter anderem ergonomische Aspekte in die Produktentwicklung einfließen lassen. Das Alleinstellungsmerkmal von ViewR ist dabei eine einfache und intuitive Benutzeroberfläche sowie die Kompatibilität zum Datenaustauschformat STEP und der Konsumer-Hardware HTC Vive.
CMC ViewR macht das Medium Virtual Reality laut den Entwicklern „der breiten Masse der Unternehmen zugänglich“. Bisher sei es für kleinere und mittlere Unternehmen oftmals nicht möglich gewesen, aufgrund von horrenden Investitionssummen und massiver Komplexität in das Thema des virtuellen Prototypings mit Virtual Reality vorzudringen. Durch die smarte Kombination von bestehenden Toolkits und eigens entwickelten Schnittstellen sei es CMC gelungen, eine sehr kostengünstige und trotzdem mit den notwendigen Tools ausgestattete VR-Software auf den Markt zu bringen. So könnten nun auch kleine Firmen durch virtuelle Prüfung ihrer Konstruktionen und virtuelle Vertriebspräsentationen ihre Wettbewerbsfähigkeit weiter ausbauen. (TM)
www.daenet.de, www.frost.com
www.cmc-engineers.de
www.bergolin.de
www.yaveon.de, www.daenet.de
www.microsoft.com

INFO-BOX
Enormer Schub für VR-Technologien
Das schnelle Wachstum des Markts für virtuelle Realität (VR) zieht substanzielle private und staatliche Investitionen zur Innovation von Start-ups an – zu diesem Schluss kommt die Studie „Future Applications of Virtual Reality (Immersive Computing)“ von Frost & Sullivan. Im Fokus stünden dabei die Bereiche Video, Services und Lösungen, Spiele sowie Apps. Durch technologische Fortschritte und Verbesserungen bei der Nutzererfahrung werde VR in den Branchen Gesundheit, Automobil, Bildung, Produktion, Einzelhandel, Design und Entwicklung, Luftfahrt und Verteidigung sowie Unterhaltung zunehmend Fuß fassen.
Die Einbindung von Biosensorik, Spracherkennung, Bewegungsmonitoring und Raumwahrnehmung in VR werde der Erkennung von Körperhaltung und Gestik einen enormen Schub verleihen. Durch diese Technolo­gien erhöhe sich wiederum die VR-Adoptionsrate, insbesondere in der Medizin und dort in den Bereichen virtuelle Chirurgie und immersive Therapie sowie Zahnmedizin. Durch eine Erweiterung des Anwendungs­spektrums werde auch VR-as-a-Service zu einem wichtigen Geschäftsmodell der Zukunft.
Die Studie ist Teil des Frost-&-Sullivan-Growth-Partnership-Serviceprogramms TechVision (Information & Communication) und hat unter anderem ergeben, dass der VR-Hardware- und Software-Markt voraussichtlich von 1,37 Milliarden Dollar im Jahr 2015 auf 33,90 Milliarden Dollar bis 2022 bei einer durchschnitt­lichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 57,8 Prozent zwischen 2016 und 2022 anwachsen werde.
„Unternehmerische Unterstützung durch die Mitglieder des Ökosystems ermöglicht es Start-up-Unternehmen, die Rolle von anspruchsvollen Stakeholdern einzunehmen“, erklärt Frost & Sullivan TechVision Research Analyst Mohammed Jawad. „Sie haben das Potenzial, mit disruptiven Technologien aufzuwarten, während sie gleichzeitig von der weltweiten Konjunkturabschwächung sowie von der Sorge um den Erhalt von großen Kapitalinvestitionen abgenabelt sind.“
Obwohl der Bereich der VR rasant wächst, fände selbige zu vielen Sektoren noch keinen Zugang. Weniger als ein Prozent der weltweiten Computer seien für VR grafisch ausreichend ausgestattet, um effizient ein­gesetzt zu werden. Zudem bedürfe das VR-Ökosystem wichtiger technologischer Fähigkeiten, wie etwa ­leistungsfähiger Batterien.
„Während Partnerschaften im Ökosystem und über verschiedene Länder hinweg eine wichtige Rolle für die Entwicklung von Fertigkeiten einnehmen, arbeiten globale Player mit einem großen Partnernetzwerk, um Kundenbedürfnisse zu befriedigen“, meint Jawad. „Gleichzeitig werden Technologien wie Echtzeitanalytik und Funkfeuer im Umfeld von VR und erweiterter Realität möglich gemacht, denn sie werden einen Einfluss auf die Einführung von VR in Unternehmensanwendungen haben.“