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NEW BUSINESS Guides - FACILITY MANAGEMENT-GUIDE 2022
Klimaziele, steigende Energiepreise und Energieverknappung lassen den Druck steigen, sich beim Heizen und Kühlen von althergebrachten Konzepten zu lösen und nach Alternativen zu suchen. © Alexsander-777/Pixabay

Heizen, Kühlen und Warmwasseraufbereitung sind die größten Posten im Energiebudget von Gebäuden. Dazu kommt, dass dafür zumeist CO₂-kritische Quellen wie Öl oder Gas herangezogen werden ...

... Aus ­vielerlei Gründen sind daher Alternativen gefragt.

Diese Alternativen gibt es, und an ihrer Umsetzung wird unter Hochdruck gearbeitet. So wurden beispielsweise im vergangenen Sommer auf dem 40 Hektar großen Areal der ehemaligen Martinek-Kaserne in der Stadtgemeinde Baden, die seit 2014 leer steht, die Ergebnisse des dreijährigen NEFI-Forschungsprojekts SANBA präsentiert.

SANBA steht für Smart Anergy Quarter Baden und entwickelte ein sogenanntes Anergie- oder ­Niedertemperaturheiz- und -kühlnetz für die Martinek-Kaserne, wobei industrielle Nieder­temperaturabwärme aus der benachbarten NÖM-Molkerei und lokal verfügbare erneuer­bare Wärmequellen wie Geothermie verwendet werden können.

„Wir haben drei mögliche Szenarien für eine mögliche Nutzung des 40 Hektar großen Areals entwickelt. Auf deren Basis wurde berechnet, wie die Abwärme der NÖM-Molkerei jeweils in das Wärme-Kälte-Netz eingespeist und über saisonale thermische Speicherung in Erdsondenfeldern genutzt werden kann. Die wichtigste Wärmequelle des geplanten Anergienetzes ist die industrielle Niedertemperaturabwärme aus der benachbarten NÖM-Molkerei ergänzt durch thermische Solaranlagen, Photovoltaik, Wärmepumpen sowie ein Erdsondenfeld, das als saisonaler Speicher verwendet wird. Eine besondere Herausforderung war die Berechnung und Planung des Netzes mit unterschiedlichen Gebäudestandards der denkmalgeschützten Altbauten und der Neubauten mit unterschiedlicher Nutzung“, so Edith Haslinger, Senior Scientist am AIT Center for Energy und SANBA-Projektleiterin.

Innovatives Anergienetz in drei ­möglichen Ausbaustufen
Als Basis der Energie- und Sanierungsberechnungen wurden drei konkrete Szenarien der Arealsentwicklung definiert. Diese reichen in der ersten Ausbaustufe von der exklusiven Nutzung der denkmalgeschützten, sanierten Bestands­gebäude ohne neue Gebäude bis hin zu einer verdichteten Bebauung mit Mischnutzung von Wohnen bis Arbeiten oder Aus- und Weiterbildung.

Ergänzend zur technischen Analyse und Planung erfolgte zudem eine betriebswirtschaftliche Analyse, bei der die spezifischen Kosten der unterschiedlichen Energiedienstleistungen für diese drei Entwicklungsszenarien ermittelt und vergleichend gegenübergestellt wurden.

Die Szenarien gehen auch auf die Gebäude­typen und ihre Energieverbrauchscharakteristik ein. „Ein Wohnhaus hat ein anderes zeitliches Bedarfsprofil als ein Bürogebäude, eine Schule oder ein Supermarkt“, erklärt Edith Haslinger. „Die hier entworfenen Szenarien sollen nicht nur in Baden als Konzept für nachhaltige Raumplanung bei der 40 Hektar großen Kaserne dienen, sondern können auch für andere historische Bestandsareale verwendet werden.“

Die Projektergebnisse zeigen, dass nach einer grundlegenden Sanierung in der Ausbaustufe zwei und drei ein hohes Potenzial für ein klima­neutrales, zukunftsweisendes thermisches Energiesystem entsteht. Ein entscheidender Faktor für das kompakte SANBA-Anergienetz sind die kurzen Leitungswege. Je nach Ausbaustufe reichen 1,6 bis 2,4 Kilometer Trassenlänge aus, um das gesamte Areal mit Wärme und Kälte zu versorgen. Ein 76 mal 76 Meter großes Erd­sonden­feld kann als saisonaler Speicher für das Anergienetz dienen.

Die Simulationsrechnungen für den Wärme- und Kältebedarf und für den Elektrizitätsbedarf des Quartiers ergeben im Gesamtsystem elektrische Selbstversorgungs­grade von 0,50 bzw. 0,43. In den Berechnungen wird der zusätzliche Stromverbrauch für Wohnen, Dienstleistungen und Gewerbe berücksichtigt. Zudem ist bei einer Deckung des Restelektrizitätsbedarfs mit Strom aus treibhausgasneutralen Quellen auch das Gesamtenergiesystem klima­neutral.

Klimafreundliche Fernwärme aus der Zementproduktion
Ein anderes Projekt, durchgeführt von Leube Zement und dem österreichischen Energiedienstleister ENGIE Energie GmbH, untersuchte die Möglichkeiten, um zukünftig 3.000 Haushalte sowie Industrie-, Gewerbe- und Hotelbetriebe in Grödig, Hallein-Rif und Anif mit Werksabwärme aus der Zementproduktion der Firma Leube mit Sitz in St. Leonhard bei Grödig versorgen zu können.

Im Rahmen einer Machbarkeitsstudie wurde darüber nachgedacht, die Abwärme des großen Leube-Ofens in das Fernwärmenetz Grödig einzuspeisen und über ein neu errichtetes Leitungsnetz insgesamt drei Gemeinden mit umweltfreundlicher Wärme zu beliefern.

„Wir rechnen mit Vorlauftemperaturen von rund 100 Grad Celsius“, so der zuständige Projektleiter Sepp Mösl von ENGIE Energie, die im Land Salzburg mehr als 200 Wärmeversorgungsanlagen betreibt. „Damit kann jede Zen­tral­heizung mehr als ausreichend versorgt werden. Ob von privaten Haushalten, öf­­fent­lichen Gebäuden oder Ge­wer­be­betrieben.“ Das geschätzte Gesamt­investitions­volu­men dafür liegt bei rund 30 Millionen Euro.

Ob betriebseigene Photovoltaikanlage oder Ökostrom aus Wasserkraft – Leube setzt in der Produktion seit Jahren auf regenerative Energiequellen sowie größtmögliche Energieeffizienz. Mit der Weitergabe von CO₂-neutraler Wärme geht das nachhaltig orientierte Zementwerk nun einen Schritt weiter. Günter Waldl, technischer Leiter bei Leube, erklärt: „Die Abwärme unseres Ofens im Zementwerk soll zukünftig als klimaneutrale Energiequelle genutzt werden. Damit leisten wir auch auf dieser Ebene einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz.“

Da der Ofen für die Klinkerproduktion üblicherweise wegen Wartungs­arbeiten in den Wintermonaten außer Betrieb ist, wird gerade an einer Lösung gearbeitet, um diese in wärmere Monate verlegen zu können. „Indem wir große Mengen an Klinker vorproduzieren, schaffen wir quasi eine intelligente Möglichkeit, Energie zu speichern“, führt Waldl aus.

„Mit der Umstellung können wir die Abwärme auch dann liefern, wenn gerade erhöhter Bedarf daran besteht – nämlich im Winter. Der Klinkerofen hat einen hohen Wirkungsgrad von 70 Prozent und Abwärme, die für die Nutzung als Fernwärme optimal geeignet ist.“ In der Vollausbaustufe könnten so jährlich bis zu 30 Millionen Kilowattstunden für Haushalte bereitgestellt und damit rund 9.000 Tonnen CO₂ eingespart werden.

CO₂-frei durch Geothermie
Alternative Ansätze verfolgt man auch bei dem von UBM Development entwickelten LeopoldQuartier im zweiten Wiener Gemeindebezirk, das seine Energie zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen beziehen und im Betrieb mehr als nur CO₂-neutral, nämlich sogar weitestgehend CO₂-frei sein soll. Als Partner für die Wärme- und Kälteversorgung konnte der Spezialist BCE Beyond Carbon Energy gewonnen werden.

Die Energiegewinnung für Wärme und Kälte soll beim LeopoldQuartier zur Gänze direkt auf dem Baufeld realisiert werden. Über ein Netz von rund 250 geothermischen Erdsonden, die jeweils 150 Meter in die Erde führen, wird den Mietern und Wohnungseigentümern jährlich Heiz- und Kühlenergie in der Größenordnung von 4.800 MWh bereitgestellt. Gerald Beck, Geschäftsführer von UBM Development Österreich: „Neben unserer Strategie, alle Gebäude in Holzbauweise zu errichten, ist dies ein maßgeblicher Schritt, nicht nur von Klimaschutz zu sprechen, sondern zu handeln und diesen auch aktiv umzusetzen!“

Auf den fünf Baufeldern sind Wohnungen, City-Apartments, gewerblich genutzte Flächen, mehr Grün durch teilweise Entsiegelung und ein Kindergarten geplant. Herbert Hetzel, Gründer und Geschäftsführer von BCE Beyond Carbon Energy: „Die Wärme- und Kälteversorgung durch Beyond Carbon Energy ermöglicht durch die intelligente Nutzung von Geothermie als saisonaler Speicher eine CO₂-freie – und großteils autarke – Energieversorgung der Immobilien, ohne Mehrkosten für die Nutzer im Vergleich zu traditioneller Energieversorgung auf Niedertemperaturbasis. Das reduziert Leitungsverluste und macht von den Entwicklungen der Energiemärkte unabhängig. Damit zeigt sich die UBM Development als ein verantwortungsvoller und vorausschauender Immobilien­entwickler.“

Schon beim Bau nachhaltig
Das von UBM Development auf einem rund 22.900 Quadratmeter großen Areal am Wiener Donaukanal entwickelte LeopoldQuartier will aber nicht nur im Betrieb ein Vorbild an Nachhaltigkeit sein, sondern schon beim Bau. Daher werden alle Gebäude in Holzhybridbauweise errichtet – eigenen Angaben zufolge als erstes Stadtquartier Europas. Die Holzhybridbauweise führt nämlich zu einer massiven Verbesserung der CO₂-Bilanz.

Das im Holz gebundene CO₂ und das reduzierte Gewicht der Hybridbau­weise ermöglichen eine erhebliche Reduktion des CO₂-Fußabdrucks im Vergleich zu dem bei der Produktion von Stahl und Beton anfallenden Kohlendioxid. Stahl und Beton sind die Baustoffe der Wahl bei konventioneller Rohbauweise.

Abwasser statt Erdgas
Brandaktuell und nicht nur von klimatischer, sondern darüber hinaus auch politischer Bedeutung ist derzeit die Abhängigkeit von importiertem Erdgas. Schnell verfügbare, erneuerbare und politisch weniger brisante Energiequellen sind gefragt. Großes Potenzial wird der Energiegewinnung aus Abwasser attestiert, auf die sich beispielsweise das Bau- und Umwelttechnikunter­nehmen Rabmer spezialisiert hat. 

„Die steigenden Energiepreise und die Energieverknappung durch den Ukraine-Krieg zeigen, dass wir dringend neue Energiequellen benötigen, die die Abhängigkeit reduzieren und die Versorgungssicherheit garantieren. Das gilt auch für Anlieferung, Ersatzteile und nicht zuletzt für das technische Know-how – im Krisenfall sollte man nicht mehr auf globale Lieferketten angewiesen sein. Das jeweilige System muss sich auch relativ kurzfristig umsetzen lassen, aber langfristigen, zuverlässigen Output versprechen. Darüber hinaus muss damit auch der CO₂-Ausstoß reduziert werden“, erklärt Ulrike Rabmer-Koller, geschäftsführende Gesellschafterin der Rabmer Gruppe.

„Die Liste der Anforderungen ist lang, aber es gibt Systeme, die all diese Kriterien erfüllen. Eines davon ist die Nutzung von Abwasser, eine erneuerbare Energiequelle zum nachhaltigen Heizen und Kühlen von Gebäuden, mit der rund 14 Prozent der benötigten Wärmeenergie sowie der zunehmende Bedarf an Kühlenergie regional und nachhaltig produziert werden können“, so Rabmer-Koller.

Gerade im städtischen Bereich gibt es optimale Voraussetzungen für Energie aus Abwasser zum erneuerbaren Heizen und Kühlen von Gebäuden. In Wien etwa hat das Abwasser im Ganzjahresdurchschnitt eine Temperatur von 16 Grad Celsius und fällt selbst im Winter nicht unter elf Grad. Diese hohe Ausgangstemperatur, die über jener von Erdwärme, Grundwasser oder Außenluft – den üblichen Energiequellen von Wärmepumpen – liegt, macht die Abwassernutzung so interessant, da die Wärmepumpe wesentlich effizienter arbeitet und daher selbst wenig zusätzliche Energie benötigt.

Energie aus Abwasser ist seit 2018 als erneuerbare Energie anerkannt, und seit Kurzem gibt es auch von staatlicher Seite Zuschüsse. „2021 wurde Energie aus Abwasser erstmals vom Klima- und Energiefonds gefördert. Dies hat der Technologie nun auch in Österreich einen Turbo­schub gegeben. Allein in den letzten zwölf Monaten haben wir über 20 größere Projekte geprüft. Viele davon wären kurzfristig umsetzbar“, erklärt Rabmer-Koller.

Eine der jüngsten Anlagen des Landes wurde 2021 in der neuen Wien-Kanal-Zentrale in Inzersdorf von Rabmer installiert. Diese deckt den Heiz- sowie Kühlbedarf des Gebäudes zu 100 Prozent und liefert im Vollbetrieb bis zu 450 Kilowatt Heiz- und 500 Kilowatt Kühl­leistung. Bald wird Rabmer ein weiteres Leuchtturmprojekt in Wien umsetzen, nämlich die Versorgung des neuen Immobilienkomplexes „VIO Plaza“ an der U4-Station Meidlinger Hauptstraße mit einer Leistung von 1,2 Megawatt Wärme und sechs Megawatt Kälte aus dem Kanal. Sämtliche Materialien, die für den Bau der Anlagen benötigt werden, bezieht Rabmer aus dem EU-Raum. (RNF)


INFO-BOX I
Anergienetze eröffnen neue Möglichkeiten
Anergienetz ist die Fachbezeichnung für ein Niedertemperaturnetz (4–30 °C) zum Heizen und Kühlen. In Rohrleitungs­netzen wird Wasser zwischen einzelnen Gebäuden bzw. Gebäudegruppen verteilt. Im Gegensatz zu einem Fernwärmenetz verfügt ein Anergienetz nicht über eine zentrale Wärmeversorgung, sondern kann dezentral und viel flexibler auf Quartiersebene betrieben werden. Es erhöht die Flexibilität und fördert die Integration lokaler, erneuerbarer Energiequellen. Damit entstehen dynamische Netze, die es ermöglichen, dass Gebäude aktiv am Netz als Produzenten und Konsumenten teilnehmen können. Anergienetze zeichnen sich aufgrund kurzer Leitungen und niedriger Vorlauftemperaturen von rund 20 °C – im Vergleich zu über 80 °C bei Fernwärmenetzen – durch geringe Energieverluste aus. Im Projekt SANBA konnten für die effiziente Planung und Gestaltung lokaler Anergie­netze, vor allem für die Nutzung unterschiedlicher Gebäudestandards, wertvolle Ergebnisse erzielt werden.

www.nefi.at/sanba


INFO-BOX II
Energiegewinnung aus Abwasser
Wie funktioniert die Energiegewinnung aus Abwasser? Um Abwasser als erneuerbare Energiequelle nutzbar zu machen, werden zunächst Wärmetauscher im öffentlichen Kanal oder bei größeren Anlagen als Bypass außerhalb des Kanals bzw. auch im Kläranlagenabfluss angebracht. Das Abwasser im Kanal umspült die Wärmetauscher und erwärmt dabei einen separaten Wasserkreislauf, der wiederum mit Wärmepumpen im zu versorgenden Gebäude verbunden ist. Diese Wärmepumpen entziehen dem Wasser die Wärme und bringen es auf das gewünschte Temperaturniveau. Im Winter kann so ein Gebäude wirtschaftlich geheizt oder Warmwasser aufbereitet werden, im Sommer wird der Prozess umgekehrt, um das Gebäude zu kühlen. Zusätzlich kann Abwasserenergie auch in Fern- bzw. Nahwärmenetze und Fern- bzw. Nahkältenetze eingespeist ­werden.

Die Grundvoraussetzung für diese Art der Energiegewinnung ist ein Kanal mit einer Durchflussgeschwindigkeit von mindestens zehn Litern pro Sekunde und einer Dimension ab DN 400. Darüber hinaus muss die Abwassertemperatur konstant über acht Grad Celsius liegen, die Entfernung zum Verbraucher darf 900 Meter nicht überschreiten, und der Bedarf an Heiz- bzw. Kühllast muss mindestens 50 kW Leistung betragen.