Was soll Der Müll?

NEW BUSINESS Guides - UMWELTTECHNIK- & ENERGIE-GUIDE 2021/22
Bis 2025 muss der Anteil an recycelten Kunststoffverpackungen in Österreich stark erhöht werden. Auch hier kann die Digitalisierung einen entscheidenden Beitrag leisten. © Adobe Stock/vegefox.com

Der Recycling- und Abfallwirtschaftsmarkt befindet sich im ­Wandel. ­Einerseits lassen strengere Vorschriften, Initiativen zum Umweltschutz und die gestiegene Sensibilität der Bevölkerung ...

... die Abfallindustrie boomen, andererseits machen die Unternehmen der Branche selbst mit innovativen neuen Lösungen von sich reden.

Wenn man dem Bericht „What a Waste 2.0“ der Weltbank aus dem Jahr 2018 Glauben schenken will, so wird sich die Menge an Müll auf unserer Erde in den nächsten Jahren drastisch vervielfachen. Bis 2050 rechnet man mit einer rund 70-prozentigen Zunahme des weltweiten Abfallaufkommens. Während es laut Bericht aktuell rund zwei Milliarden Tonnen Müll sind, sollen es in knapp 30 Jahren bereits rund 3,4 Milliarden Tonnen sein. Das wirkt sich auch auf den globalen Markt für Abfallmanagement aus: Laut Analysen soll dieser – bei einer jährlichen Wachstumsrate von 5,1 Prozent – bis zum Jahr 2026 bei 542,7 Milliarden US-Dollar liegen. Andrey Wolfsbein, Österreich-Sprecher der Investmentgesellschaft Freedom Finance, kennt die Hauptgründe für das Wachstum: „Analyse­unternehmen haben festgestellt, dass das Aufkommen neuer Industrien, die Globalisierung und der steigende Verbrauch der Bevölkerung die Haupttreiber für die Expansion des Recycling- und Abfallwirtschaftsmarkts sind.“ Aber auch immer strengere staatliche Vorschriften zum Schutz der Umwelt, die zunehmende Bedeutung von Mülltrennung und die verkürzten Lebenszyklen elektronischer Produkte tragen ihr Scherflein zum Wachstum des Marktes bei.

Hinzu kommt, dass nicht nur das steigende Bewusstsein der Bevölkerung hinsichtlich nachhaltiger und umweltbewusster Lebensweisen, sondern auch die Globalisierung die Entwicklung der Abfallindustrie fördert. „Durch die Zunahme des internationalen Handels in den letzten Jahrzehnten hat sich die Armut in den Entwicklungsländern verringert, wodurch sich gleichzeitig der Lebensstandard und die Kaufkraft erhöht haben“, weiß Wolfsbein. Außerdem wurden damals die meisten Produkte noch in der Nähe des Verbrauchsorts hergestellt, und das Recycling erfolgte in der Nähe des Produktionsorts. Heute wird eine große Anzahl an Massenkonsumgütern auf der ganzen Welt verteilt.

Während es in vielen Branchen aufgrund ihrer Schnelllebigkeit kaum möglich ist, Prognosen abzugeben, könne man sich Wolfsbein zufolge auf die Zukunft der Abfallindustrie verlassen: „Viele Geschäftsmodelle sind durch den technologischen Wandel bedroht. Was vor wenigen Jahren noch interessant war, ist heute oftmals bereits Schnee von gestern.“ Abfall wird allerdings auch in Zukunft noch entstehen. Deswegen ist das dem Experten zufolge auch ein interessantes Parkett für Investoren. „Der Vorteil eines Investments in den Abfallwirtschaftsmarkt ist die Sicherheit. Denn als beispielsweise während der Corona-Krise viele Unternehmen starke Verluste hinnehmen mussten, blieb der Bedarf nach Müllentsorgung bestehen“, verdeutlicht das Wolfsbein.

Digitalisierung und Recycling
Das heißt aber nicht, dass der technologische Wandel nicht auch schon längst im Recycling- und Abfallwirtschaftsmarkt angekommen wäre. Gerade aus Österreich gibt es zahlreiche positive Beispiele auf diesem Gebiet, die zeigen, wie sich mittels moderner Technologien clevere Lösungen und Verbesserungen bestehender Systeme finden lassen, um Ressourcen zu schonen und Rohstoffe so lange wie möglich im Kreislauf zu halten.

„Die Frage der Nachhaltigkeit spielt mittlerweile eine zentrale Rolle für produzierende Unternehmen. Es gilt hier, innovative Ansätze zu entwickeln, die sinnvolle Antworten auf die großen Umweltfragen der heutigen Zeit geben“, sagt etwa Sabrina Goebel, Geschäftsführerin der RecycleMe GmbH, eines international tätigen Beratungsunternehmens im Bereich Umwelt- und Ressourcenmanagement. Bei der Lösung dieser Umweltfragen spielt die Digitalisierung eine immer wichtigere Rolle. Digitale Lösungen im Bereich Kreislauf- und Abfallmanagement helfen mittlerweile Unternehmen, strategische Entscheidungen zu treffen, um etwa das Design ihrer Verpackungen so zu optimieren, dass sie notwendige internationale Standards im Recyclingbereich erfüllen können. Dabei steht die Frage der Recyclingfähigkeit von Verpackungen, insbesondere bei Kunststoffverpackungen, im Mittelpunkt: Je besser eine Verpackung für das Recycling geeignet ist, desto leichter fällt es letztlich im Recyclingprozess, wertvolle Sekundärstoffe zu gewinnen.

Die Recyclingfähigkeit kann mittels digital gestützter Bewertungstools gemessen werden. „Konkret kann jedes Unternehmen überprüfen, wie gut sich seine Verpackungen für das tatsächliche Re­cyc­ling eignen. RecycleMe stellt Unternehmen in diesem Bereich eine webbasierte Bewertungsplattform zu Verfügung. Hier sind also kein Download bzw. keine vorherige Installation notwendig, eine Registrierung genügt“, erklärt Goebel. Die Bewertung der Recyclingfähigkeit orientiert sich dabei an aktuell gültigen nationalen und internationalen Verpackungsstandards. Durch eine Kooperation mit dem TÜV SÜD können Verpackungen nach Wunsch zudem mit einem zusätzlichen Gütesiegel zertifiziert werden.

Recyclingquoten müssen deutlich ­besser werden
Die Frage der Ressourcenschonung betrifft jedoch nicht nur Unternehmen, sondern auch die Konsumentinnen und Konsumenten. Derzeit wird in Österreich nur jede vierte Verpackung aus Kunststoff recycelt, bis 2025 muss sich der Anteil an recycelten Kunststoffver­packungen jedoch verdoppeln. Auch hier kann die Digitalisierung einen entscheidenden Beitrag leisten, um die Sammel- und Recyclingquoten von Kunststoffverpackungen zu verbessern. 

Seit Jahresanfang stehen dem Endverbraucher digitale Lösungen zur Verfügung, die das richtige Sammeln von Kunststoffflaschen und Alu­dosen incentivieren. Eine dieser Lösungen ist die RecycleMich-App aus dem Produktangebot der RecycleMe GmbH. Gemeinsam mit Coca-Cola Österreich entwickelt, erfreut sich die App seit Start ihrer Verfügbarkeit diesen März in Wien stetig steigender Beliebtheit. In den ersten sechs Monaten seit der Inbetriebnahme wurden mehr als 230.000 Verpackungen aus Kunststoff und Aluminium auf diesem Weg gesammelt. „Die RecycleMich-App funktioniert einfach: Man scannt seine leere Verpackung, wirft sie in einen gelben Sammelcontainer und fotografiert diesen anschließend direkt über die App. Damit nimmt man automatisch jede Woche an der Verlosung von wertvollen Preisen teil. Mit diesem Anreizsystem wollen wir zusammen mit den führenden Herstellern des Landes mehr Bewusstsein für das richtige Sammeln von Verpackungen aus Kunststoff und Aluminium schaffen“, sagt Stefan Siegl, Projektleiter für digitale Konzepte bei RecycleMe. 

Neben der Verdoppelung der Recyclingquoten muss die Sammelquote bei Kunststoffver­packungen bis 2029 von derzeit 70 auf 90 Prozent erhöht werden. „Mit dem bestehenden Sammel- und Recyclingsystem von Kunststoffverpackungen haben wir kaum Chancen, diese Ziele rechtzeitig zu erreichen. Wir benötigen jede Flasche zurück. Die höchsten Sammelquoten erreicht man nur durch ein Einwegpfandsystem. Das zeigen Beispiele aus anderen Ländern wie Deutschland oder Skandinavien, in denen dieses Sammelmodell derzeit sogar ausgeweitet wird“, so Siegl.

Digitale Recyclingpioniere
Auch die niederösterreichischen Gemeindeverbände Horn und Tulln setzen bereits auf innovative Technologien in der Altglas- und Hausmüllentsorgung und leisten damit einen wichtigen Beitrag zu den Klimazielen. Pilotprojekte in den beiden Gemeinden zeigen das große klimarelevante Potenzial, das in der Entsorgung schlummert und mit modernen Technologien gehoben werden kann. „Informationen werden genau erfasst und analysiert. Dank der Transparenz kann man die Entsorgung punktgenau steuern und folglich höhere Qualität, weniger Lärm und einen geringeren CO₂-Ausstoß bei mehr Effizienz erzielen“, informiert Hans Roth, Gründer der federführend in die Projekte involvierten Saubermacher AG. Die F&E-Spezialisten des Umweltpioniers haben in Kooperation mit der Firma Stummer, der TU Graz, dem Know-Center, Joanneum Research und dem österreichischen Start-up SLOC neue Tools entwickelt und seit dem Vorjahr in beiden Regio­nen getestet.

Eines dieser Projekte setzt, wie auch die bereits erwähnte RecycleMich-App, bei der Bewusstseinsbildung an. „Liebe/r Bürger/in! In Ihrem Restmüll befanden sich noch erhebliche Fehlwürfe. Der Hauptstörstoff war Leichtverpackung. Bitte achten Sie auf die richtige Mülltrennung. Das schützt die Umwelt und das Klima! Herzlich, Ihr Abfallwirtschaftsverband“ Mit solchen bzw. ähnlichen persönlichen Rückmeldungen direkt auf das Smartphone von 116 Testhaushalten in drei Gemeinden im Bezirk Tulln wurden die Mülltrennung und die Recyclingquote durch die Anwendung von künstlicher Intelligenz verbessert. Ein Wertstoffscanner im Sammelfahrzeug erkennt mit unterschiedlichen Sensoren bzw. Kameras und einem neuronalen Netzwerk, ob im Restmüll „Fehlwürfe“ sind. Denn Wertstoffe wie z. B. Altpapier, Plastikverpackungen oder Biomüll sind wichtige Sekundärrohstoffe.

Doch einmal in der schwarzen Tonne entsorgt, sind sie für das Recycling und folglich für die Senkung klimaschädlicher Gase für immer verloren. Würde man die gesamten Fehlwürfe im Restmüll österreichweit reduzieren, so könnte man rund 350.000 Tonnen CO₂ pro Jahr einsparen. Entwickelt wurde dieser Wertstoffscanner gemeinsam vom Fahrzeugbauer Stummer, Joanneum Research, TU Graz und Saubermacher. Das persönliche Feedback ist wesentlich, da klima­relevantes Verhalten unmittelbar bewusst gemacht und durch positives Feedback belohnt wird. Aufgrund von Corona wurde in diesem Pilotprojekt nur eingeschränkt kommuniziert. Die Ergebnisse zeigen aber, dass allein schon das Wissen über das Monitoring – ähnlich wie bei einem leeren Radarkasten am Straßenrand – zu einer Verhaltensänderung führt.

ANDI sieht alles
Im zweiten Projekt wurden rund 600 Hightech-Sensoren, die auf den Namen ANDI getauft wurden (ANDI steht für Automatisch, Nachhaltig, Digital und Innovativ), eingesetzt, um den Inhalt von 300 Altglasbehältern zu messen und an eine intelligente Plattform zu übermitteln. Entwickelt wurde diese Lösung vom Start-up SLOC in Kooperation mit dem Know-Center sowie mit Praxisfeedback von Saubermacher, das in die Entwicklung eingeflossen ist. Das IoT-Tool vernetzt verschiedene Parameter, z. B. den Behälterfüllstand, die maximale LKW-Nutzlast etc., und erstellt einen optimierten Tourenplan. Beispielsweise sollen Behälter nicht schon entleert werden, obwohl sie erst halb voll sind. „Wir haben den durchschnittlichen Füllgrad der entleerten Behälter um 30 Prozent verbessert“, erklärt Ralf Mittermayr, CEO der Saubermacher AG. „Dabei wurde auch die Qualität verbessert. Die überfüllten Behälter wurden deutlich um über 80 Prozent reduziert“, so Mittermayr weiter. Dass das dynamische Entsorgungssystem sinnvoll ist, zeigten die Lockdown-Phasen. Während es in anderen Regionen mit statischer Entsorgung aufgrund der plötzlich anfallenden deutlich höheren Sammelmengen bei einigen Sammelstellen zu kurzzeitigen Überfüllungen kam, konnte diese Herausforderung dank des dynamischen Sammelsystems in Horn proaktiv gemanagt werden.

„Die Ergebnisse haben mich überzeugt. Wir gehen nun vom Pilotprojekt in den Regelbetrieb über und möchten viele andere Altglas-Sammelpartner auch motivieren, solche Systeme einzusetzen“, sagt Auftraggeber Haymo Schöner, Geschäftsführer Austria Glas Recycling. Die Datenübertragung erfolgt über die Funktechnologie NarrowBand IoT (NB-IoT) von Magenta. Die hohen Anforderungen an die Übertragungstechnik wurden zuverlässig erfüllt. „Gemeinsam mit unseren Partnern entwickeln wir digitale Lösungen, insbesondere im Bereich des Internets der Dinge, mit denen es gelingt, ganze Wertschöpfungsketten zu optimieren. Das Projekt zur intelligenten Glassammlung ist ein gutes Beispiel dafür, wie Digitalisierung zur Effizienzsteigerung und somit auch zur Vereinfachung von Prozessen beitragen kann“, so Andreas Bierwirth, Magenta Telekom. (RNF)