Schlüsselrolle Logistik

NEW BUSINESS Guides - TRANSPORT- & LOGISTIK GUIDE 2017
Die Digitalisierung des Handels führt laufend zu neuen Geschäftsmodellen und Strategien. Bei deren erfolg­reicher Umsetzung kommt der Logistik eine Schlüsselrolle zu. © Pixabay

Komplexes Zusammenspiel

Erfolgreiche Mehrwertlogistik ist heute ohne Innovation nicht denkbar. Doch egal ob RFID, Datenbrillen, Cloud-Computing oder autonome Transportfahrzeuge – zunehmend mehr Komponenten machen das Zusammenspiel der Technologien mittlerweile enorm komplex, wodurch vielfach die Innovation auf der Strecke bleibt. Und das Ende der Fahnenstange ist noch längst nicht erreicht. So führt ­etwa die Digitalisierung des Handels zu neuen Geschäftsmodellen und Strategien, in deren erfolgreicher Umsetzung der Logistik eine Schlüsselrolle zukommt.

Unternehmen aus der Industrie können vom digitalen Wandel massiv profitieren. Besonders logistische Prozesse gewinnen heute, bedingt durch die Digitalisierung, immer mehr Transparenz und erfordern eine verbesserte Kommunika­tion. So zeigte sich beim 16. „PraxisForum Logistik“ des Cloud-Spezialisten AXIT, dass beispielsweise für die besonderen Belange der Projektlogistik hohe Verfügbarkeit, einfacher Zugang zu logistischen Daten sowie Informationen über ortsunabhängige, cloudbasierte Systeme erforderlich sind.
„Je schneller eine Information ankommt, desto mehr gewinnt sie an Wert“, erklärt Markus Ziegler, Senior Manager Distribution Logistics bei der Dürr Systems AG. Das Unternehmen, das weltweit Lackieranlagen für die Automobilindustrie baut und vor Ort montiert, ist auf Baustellen darauf angewiesen, Equipment und Ressourcen für Sondertransporte von überdimensionalen Anlagenmodulen punktgenau zusammenzuführen. „Die Cloud ermöglicht durch die lückenlose Abbildung der Lieferkette eine bessere Servicequalität“, so der Logistikmanager.
Auch der Siemens-Geschäftsbereich Transmission Solutions will in Großprojekten von einer überall einsetzbaren IT-Lösung, die „easy to use“ ist und die Komplexität der Logistik deutlich reduzieren kann, profitieren. So setzt der Konzern beim weltweiten Bau von Anlagen zur Energieverteilung und Stromversorgung, bei der vom Kabelbinder bis zum 350 Tonnen schweren Transformator alles transportiert wird, auf das digitale Management von Logistikprozessen über eine cloudbasierte Lösung.

Zusammenarbeit über Grenzen hinweg
Die Logistikplattform erlaubt es, systemfremde Partner und Prozessbeteiligte in das Projekt einzubinden. „Wir freuen uns auf die neue Zeit“, meint Gabriele Hennecke, Head of Logistics Execution and IT bei Siemens in der Business-Unit Transmission Solutions. Statt über einen komplexen, analogen Informationsaustausch ein Projekt zu managen, unterstützt die Cloud einen strukturierten, transparenten und jederzeit verfügbaren Datenaustausch. „Die Logistik hat durch Digitalisierung die Chance, sich aktiv in Prozesse einzubringen und Dinge nachhaltig zu verbessern“, erklärt Frauke Heistermann, Chief Digitalization Officer (CDO) der Siemens Postal, Parcel & Airport Logistics GmbH. Dennoch sei die Verfügbarkeit von Daten noch immer keine Selbstverständlichkeit. Wer von durchgehend digitalisierten Prozessen wie beispielsweise in der Projektlogistik profitieren wolle, müsse lernen, Daten zu teilen. „Je abgekapselter Daten sind, desto weniger sind sie wert.“
Die cloudbasierte Logistikplattform AX4 redu­ziere die Komplexität. Sie vereinfache und digitalisiere die Prozesse entlang der Supply-Chain und ermögliche die Kollaboration zwischen allen Beteiligten, verspricht der Hersteller. Dadurch realisiere die Lösung reibungslose und zuverlässige Prozesse sowie durchgängige Transparenz. AX4 Open sei dabei das Konfigurationstool, um AX4-Lösungen flexibel und agil aufzusetzen und anzupassen. Frei nach dem Motto „Do IT ­yourself“ können Kunden mit diesem Werkzeug komplett individuelle AX4-Lösung gestalten und verwalten.

Kunde bleibt im Mittelpunkt
Doch auch abseits der Cloud bieten sich durch die Digitalisierung viele Chancen. Fakt ist: Die Logistik verbindet Wertschöpfungsketten und ist daher von den fundamentalen Veränderungen durch die Digitalisierung betroffen. „Was sich nicht verändert, ist, dass weiterhin der Kunde als Mensch im Mittelpunkt steht. Jedoch stehen ihm heute mehr und genauere Daten jederzeit zur Verfügung. Damit und durch die digitalen Möglichkeiten kann er aktiv die Wertschöpfungskette steuern. Innovation, Nachhaltigkeit und Digita­lisierung sind die aktuellen Trends, die den ­Kunden als Treiber im B2B- oder im B2C-Geschäft verstärkt in den Fokus rücken“, betonte etwa Roman Stiftner, Präsident der Bundesvereinigung Logistik Österreich (BVL Österreich), beim 33. „Logistik Dialog“. „Die Logistik nimmt einen zentralen Stellenwert in der Gesamtwirtschaft ein und durchläuft eine Phase starker Veränderungen, die zum Teil aber auch spürbare Zweifel und Unsicherheiten auslösen.“ So sei, trotz des posi­tiven Konjunkturaufschwungs, Unbehagen im Hinblick auf die wirtschaftliche Stabilität, die unzähligen Krisenherde, Handelsbarrieren und nicht zuletzt die disruptiven Technologien allgegenwärtig.
„Die Logistik ist zur Königsdisziplin im Management geworden.“ Um die Digitalisierung zu nutzen, sei es notwendig, Leadkompetenz am Markt zu erreichen und IT-Kompetenzen in den Unternehmen aufzubauen. „Den Wandel unter dem Leitsatz ‚Be part of the game, be part of the change‘ aktiv mitzugestalten, ist die erfolgreichste Zukunftsstrategie“, so der Branchenkenner. „Dabei geht es neben Innovationskraft um Agilität und Selbstverantwortung.“

Erfolgsfaktor qualifiziertes Personal
Wichtigstes Ziel sei es daher, so seine Forderung, für entsprechende Qualifikationen und Skills zu sorgen. Dafür habe die Bildungspolitik einerseits die Grundlagen zu schaffen und einen besonderen Fokus auf die MINT-Fächer in der Ausbildung zu legen. Für die laufende berufliche Weiter­bildung hätten andererseits aber auch die Unternehmen Angebote bereitzustellen. „Dies entbindet jedoch niemanden von seiner Verantwortung, selbst für die entsprechenden Qualifikationen und Skills der Zukunft zu sorgen.“ Durch die Digitalisierung verliere die physikalische Infrastruktur nicht an Bedeutung. „Nur eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur sichert unseren Wirtschaftsstandort – gerade in Zeiten des digitalen Wandels“, meint Stiftner. „Und wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass der faire und freie Handel nicht nur essenziell für eine global funktionierende Logistik ist, sondern vor allem Quelle für Wohlstand und wirtschaftliche Prosperität. Nur in einem vereinten und friedlichen Europa werden wir den sozialen Standard und Wohlstand erhalten und weiter ausbauen können.“

Vorreiter versus Nachzügler – Technologie in unterschiedlichen Geschwindigkeiten
Ein wachsendes Problem ist allerdings die mit der Digitalisierung verbundene steigende Komplexität der Systeme. So sind, wenn es etwa um die Verbrei­tung und den Einsatz digitaler Werkzeuge (E-Tools) im Beschaffungsbereich geht, einige Unternehmen zwar bereits sehr weit fortge­schritten, sie definieren auch den State of the Art. Doch ob sich der Großteil der eher zögerlichen Unternehmen künftig daran orientieren wird, hängt von zahlreichen Faktoren wie Industrie­zu­­gehörigkeit, Wertschöpfungstiefe, Stellung in der Wert­kette, fremdbeschaffte Güter, Transak­ti­onshäufigkeiten und der Beschaffungsstrategie ab, wie eine Studie des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ) und des deutschen Einkäuferverbands BME er­geben hat. „Der Trend zur stärkeren IT-Unterstützung in den Prozessen und Aufgaben­gebieten von Einkauf und Supply-Chain-Management ist allerdings eindeutig“, erklärt Heinz Pechek, geschäftsführender Vorstand des BMÖ. Die Verbände haben im Rahmen der Studie nach dem Stand der Digitalisierung von Einkauf und SCM sowie nach erwarteten Entwicklungen gefragt.
In der Benchmarkgruppe „Best Practice“ haben demnach bereits rund 43 Prozent der Unternehmen ihre administrativen Prozesse nahezu komplett automatisiert. Im Mittel der Gesamtgruppe ist das hingegen bei lediglich 14 Prozent der Fall. Drei Viertel dieser Gruppe, die noch nicht so weit sind, weisen der Komplettautomatisierung „sehr starke“ Bedeutung für die zukünftige Umsetzung zu – gegenüber 17 Prozent der Gesamtgruppe. Die Besten haben eine reibungslose Anbindung von Lieferanten für die Abwicklung von Bestellprozessen bereits zu gut 57 Prozent vollzogen – gegenüber 15 Prozent der Gesamtgruppe. Und rund 43 Prozent der Besten haben bereits den Zugriff auf eine Vielzahl alternativer elektronischer Produktkataloge umgesetzt – gegenüber 9,5 Prozent der Gesamtgruppe.

Zurückhaltende Unternehmen
Die Untersuchung zeige, wie die Autoren betonen, erhebliche Bewertungsunterschiede auf. Die große Mehrheit habe das Thema Digitalisierung, Vernetzung und Industrie 4.0 in Einkauf und SCM bisher zurückhaltend aufgegriffen. Best-Practice-Unternehmen seien hier gegenüber dem mittleren Niveau weit voraus. Sie würden in größerem Ausmaß von Erfolgspotenzialen, die der Lösungseinsatz mit sich bringt, profitieren. „Schlussfolgerung muss sein, sich der konkreten Umsetzung gezielter Schritte nicht länger zu verschließen“, betont Pechek. Dabei seien aber auch Lösungsanbieter gefordert, ihre Informations- und Servicequalität für Anwender aller Größen und Branchen zu steigern. Ziel müsse sein, dem Einkauf im Hinblick auf steigende Anforderungen zu bestmöglicher Performance zu verhelfen.

Geschäftsmodelle der Zukunft
Dabei gilt es, innovativ und flexibel zu bleiben. Die Digitalisierung des Handels führt laufend zu neuen Geschäftsmodellen und Strategien. Bei deren erfolgreicher Umsetzung kommt der Logistik eine Schlüsselrolle zu, wie die „EHI-Szenariostudie Handelslogistik 2025“, die das EHI gemeinsam mit Logistikexperten aus dem Handel und seinem Methodenpartner ScMI entwickelt, zeigt. Die Szenarien würden dabei den Grad der Aktivität des Handels in der Supply-Chain und die Ausprägung des Digitalisierungsgrads modellieren. Alle dafür zu entwickelnden Logistik­strukturen und -prozesse müssten gleichermaßen dem Anspruch nach Flexibilität und nach niedrigen Kosten bei immer schneller werdenden Veränderungszyklen gerecht werden. Erst durch eine effiziente und leistungsfähige Logistik könnten die Geschäftsmodelle der Zukunft laufen lernen – unabhängig davon, ob es sich um ein Showrooming-Konzept (Szenario Glamoroso), eine komplexe handelsgesteuerte Supply-Chain (Szenario Kortex) oder um ein reines Online-Szenario (Deserto) handelt.
Glamoroso und Deserto würden vor allem eine hohe Anzahl an Lagern benötigen, welche dezentral verteilt seien – im Idealfall direkt in Wohnballungsräumen – und somit eine schnelle Auslieferung garantieren würden. Explora komme als klassisches Click-and-Collect-Szenario praktisch ohne zusätzliche Lagerstandorte aus. Hier müssten allerdings die Lagerflächen in den Filialen erhöht werden, um dort den zusätzlichen logistischen Aufgaben gerecht zu werden. „Wenn das Geschäftsmodell klar und stabil ist, kann die Logistik Strukturen und Prozesse aufsetzen, die eine effiziente Umsetzung ermöglichen“, be­schreibt Marco Atzberger vom EHI die richtige Reihenfolge. „So kann die Logistik einen wert­vollen Beitrag zur erfolgreichen Digitalisierung des Handels leisten.“

Vollautomatisierte Wiegeprozesse
Treiber ist dabei die Technik. So will der Spedi­tionssoftwarespezialist TRANSDATA Software GmbH & Co. KG auf der Fachmesse Transport logistic die jüngsten Weiterentwicklungen der hauseigenen Speditionssoftware Komalog präsentieren. Das Highlight stelle dabei der „Mess-/Wiege-Leitstand“ für die Windows-Version der Software dar, dessen Prozess auf der Messe live verfolgt werden könne. Diese Funktion ermögliche es, Daten nach der Vermessung und Verwiegung von Packstücken automatisch in Komalog Windows zu speichern und zu verarbeiten. Zu diesem Zweck könne ein externes Mess-/Wiegesystem von unterschiedlichen Anbietern an die Speditionssoftware angebunden werden, oder Daten können während der Be- und Entladescannung manuell erfasst werden. Nach der Übermittlung der Daten in Komalog könnten verschiedene Aktionen durchgeführt werden, etwa die Übernahme der Daten in den Auftrag, das Erstellen von Differenzmeldungen per E-Mail sowie das Erstellen von Entladeberichten. Auf Basis der Daten könne die Fracht neu berechnet werden. Zudem würden weitere Neuerungen sowohl für die Windows- als auch für die Java-Variante von Komalog demonstriert, verspricht das Unternehmen. „Wir machen in diesem Jahr deutlich, dass unsere Software weit mehr als nur den Transportprozess digitalisiert“, betont Karl-Josef Daume, kaufmännischer Leiter der TRANSDATA Software GmbH & Co. KG. So ermögliche die Web-Lösung von Komalog Windows Frachtführern und Transportunternehmen durch den neuen „Dokumenten-Upload“ das Hochladen und Bearbeiten von Rechnungen. Damit sei die Übergabe der Buchungsdaten an die Finanzbuchhaltung an das System angebunden. (TM)
www.bmoe.at
www.bvl.at
www.siemens.com/logistics
www.axit.de
www.transdata.net
www.resch-frisch.com
www.ecoplus.at