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Unter Druck

NEW BUSINESS Guides - INDUSTRIE GUIDE 2025/2026
Saori Dubourg, CEO von Greiner, formulierte in ihrer Keynote einen Appell an die Eigenverantwortung und ein Leitmotiv des unternehmerischen Handelns: „The future is up to us.“ © RNF

„Under pressure“ war das Motto des 39. Alpbacher Finanzsymposiums.

Finanz- und Wirtschaftsentscheider tauschten sich über die besten ­Befreiungstechniken und Strategien angesichts der aktuellen Lage auf der politischen und wirtschaftlichen Weltbühne aus.

Alpbach in Tirol ist auch als das „Dorf der Denker“ bekannt. Im Oktober machte es diesem Namen wieder alle Ehre, als das 39. Alpbacher Finanzsymposium stattfand. Unter dem Leitthema „Under pressure – die besten Befreiungstechniken“ kamen wie jedes Jahr zahlreiche Finanz- und Wirtschaftsentscheider zusammen, um sich untereinan­der auszutauschen, zu informieren und wertvolle Inspirationen zu holen. Passender hätte das Motto nicht gewählt werden können, gleicht die Welt dieser Tage doch einem „gigantischen Druckkochtopf“. Geopolitische Verwerfungen, technologische Umbrüche und ökonomische Unsicherheiten erzeugen einen Handlungsdruck, der Unternehmen in ihrem Kern herausfordert. Trotz der allgegenwärtigen Herausforderungen war die Atmosphäre in Alpbach jedoch von Tatendrang geprägt – dem Willen zur aktiven Zukunftsgestaltung. Der Fokus lag nicht auf einer pessimistischen Analyse der Probleme, sondern auf der Identifikation und Diskussion konkreter Lösungen.

KI-Agent, bitte übernehmen Sie!
Das Kick-off-Panel „KI-Agent, bitte übernehmen“ am ersten Tag des Symposiums beleuchtete die Rolle von KI als dem entscheidenden Hebel zur Produktivitätssteigerung und zur Neugestaltung von Unternehmensprozessen. Hermann Erlach, Geschäftsführer von Microsoft Österreich, sprach von KI als Basistechnologie wie Elektrizität oder Internet. Er prognostizierte, dass Produkte und Dienstleistungen ohne KI-Komponenten in naher Zukunft unverkäuflich sein werden. Die größte Chance liege nicht in der reinen Optimierung bestehender Abläufe, sondern darin, Prozesse „from scratch“ neu zu denken. „Fantasie“ wird so zum entscheidenden Werkzeug, um durch KI völlig neue Wertströme zu erschließen und nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu schaffen, anstatt nur die Kosten zu senken. Er warnte auch davor, dass Mitarbeiter bereits private KI-Tools nutzen und so potenziell Unternehmensdaten gefährden.

Angelika Hofer-Orgonyi, Head of Digital Excellence der Mondi Group, brachte es dann auf den Punkt: Ein Verbot dieser Werkzeuge sei praktisch unmöglich. Die Heraus­forderung für CFOs bestünde darin, eine sichere interne KI-Infrastruktur bereitzustellen und eine klare Governance zu etablieren. Nur so ließen sich das Sicherheits- und das Compliance-Risiko steuern und Produktivitätsgewinne sicher realisieren. Mondi hat beispielsweise Steigerungen der Produktivität im Millionen-Euro-Bereich realisiert, etwa durch den Einsatz von KI zur Vorhersage von Qualitätsparametern und zur Optimierung der Maschinengeschwindigkeiten in der Produktion.

Auch Jacob Decker, Chief of Staff Digital Business von Festo, schilderte im Panel den Einsatz von KI zur Erkennung von Energieanomalien in Produktionsanlagen. Dies ermöglicht nicht nur erhebliche Energieeinsparungen, sondern hilft auch, durch vorausschauende Wartung ungeplante Still­stände zu reduzieren. Trotz aller Euphorie warnten die Experten jedoch vor blindem Technologieglauben. Der Erfolg von KI steht und fällt mit der menschlichen Komponente. Die Qualität der zugrunde liegenden Daten ist ebenso entscheidend wie die Fähigkeit der Mitarbeiter, die Ergebnisse der KI kritisch zu hinterfragen. 

The future is up to us
Das Hauptpanel am zweiten Tag analysierte die strategische Zwangslage Europas. Deglobalisierung, aggressiver Wettbewerb aus Asien und unkalkulierbare Energiepreise bilden ein ­Spannungsfeld, das „traditionelle“ europäische Geschäftsmodelle fundamental infrage stellt. Doch anstatt hoffnungsvoll auf politische Rettungsanker zu vertrauen, formulierte Saori Dubourg, CEO von Greiner, in ihrer Keynote das Leitmotiv des unternehmerischen Handelns: „The future is up to us.“

Dieser Appell an die Eigenverantwortung zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen. Die besten Befreiungstechniken sind demnach keine externen Hilfen, sondern intern entwickelte Strategien, die Europas einzigartige Stärken nutzen. Aufs Tapet gebracht wurde etwa der „Mut zur Internationalisierung“. Erfahrene Manager wie Dietmar Müller, ehemaliger CFO der Berndorf AG, oder Hannes Gailer, CFO der Wietersdorfer Gruppe, befürworteten gezielte Expansionen in Wachstumsmärkte – um so durch die generierten Erträge auch die Innovationskraft der heimischen Standorte zu stärken.

Nicolas Longin, CFO von Welser Profile, sprach eine der Kernherausforderungen an: Produkte aus Asien kommen teils günstiger in europäischen Häfen an, als heimische Hersteller allein die Rohmaterialien einkaufen können. Die Antwort darauf liegt nicht im Preiskampf, sondern in der konsequenten Besetzung von Nischen, in Technologieführerschaft und Qualität. Saori Dubourg sprach in diesem Zusammenhang auch vom Konzept der „Produkte mit Haltung“. Dahinter verbirgt sich die strategische Erkenntnis, dass Kultur und Werte die am schwersten zu kopierenden Wettbewerbsvorteile sind. „Haltung“ ist kein reines Kulturthema, sondern ein wirkungsvolles Werkzeug, um ­Preise zu rechtfertigen, Markentreue aufzubauen und in einer zunehmend globalisierten und austauschbaren Welt ein nicht replizierbares Asset zu schaffen.

Longin betonte dann eine der Stärken europäischer, insbesondere familiengeführter, Unternehmen – ihre langfristige Perspektive. Er illustrierte den fundamentalen Unterschied in der Denkweise zwischen Familien- und rein kapitalmarktgetriebenen Unternehmen mit einer prägnanten Anekdote. Bei der Entscheidung über eine Akquisition hatte er als Finanzchef alle relevanten Kennzahlen aufbereitet. Die entscheidende Frage, die ihm jedoch ein Seniorchef aus der Eigentümerfamilie stellte, war eine völlig andere. Sie lautete schlicht: Was hat mein Enkel davon? Diese Frage verlagert den Fokus: Sie zielt nicht auf den nächsten Quartalsbericht, sondern auf die nächste Generation. Sie ist der ultimative Ausdruck einer Strategie, bei der die generationenübergreifende Verantwortung und die „Enkelfähigkeit“ eines Unternehmens eine härtere Währung sind als kurzfristige finanzielle Metriken.

Risikomanagement in einer sich ­wandelnden Welt
Die technologischen und geopolitischen Verwerfungen, die in Alpbach im Zentrum standen, katapultieren das Risikomanagement – seit jeher eines der zentralen Themen des Finanzymposiums – direkt ins strategische Cockpit. Es ist eine zentrale Notwendigkeit zur Sicherung des unternehmerischen Fortbestands. Die Bandbreite der neuen Bedrohungen spiegelte sich in den Fachseminaren wider, die von geopolitischen Unsicherheiten wie der „Wirtschaftspolitik der Trump-Ära“ bis hin zu den eskalierenden Gefahren der Cyberkriminalität reichten.

Gerade das Thema Cyberrisiken diente als exemplarisches Beispiel. Im Workshop „Cybercrime 2025“, gehalten von Nikolaus Kittinger, Cyber Specialist von Aon, einem Hauptsponsor der Veranstaltung, wurde die Ambivalenz der tech­nologischen Entwicklung deutlich: KI ist ein zweischneidiges Schwert. Dieselbe Technologie, die Unternehmen zur Produktivitätssteigerung nutzen, wird von Kriminellen für immer raffinier­tere ­Angriffe eingesetzt – von täuschend echten Deepfake-Anrufen bis hin zu aggressiven Ransomware-Angriffen. Um die Bedrohung greif­bar zu machen, wurde ein realer Fall aus der österreichischen Unternehmenslandschaft präsentiert, bei dem eine KI-gesteuerte CEO-Fraud-Attacke zu einem sechsstelligen Schaden führte.

Gefragt ist deswegen ein proaktiver und ganzheitlicher Ansatz, der die technologische und menschliche Resilienz des Unternehmens zur obersten Priorität erklärt. In einer Welt, in der sich Risiken ebenso schnell weiterentwickeln wie die Technologien, wird ein robustes Risikomanagement zur entscheidenden Grundlage für die strategische Handlungsfähigkeit.

Unter Druck entstehen Diamanten
Das 39. Alpbacher Finanzsymposium sendete also trotz des herausfordernden, fast „bedrückenden“ Mottos eine unmissverständliche Botschaft aus: Die Zukunft wird nicht erlitten, sondern gestaltet. Die diskutierten Befreiungstechniken können ein Art neues „Betriebssystem“­ für resiliente europäische Unternehmen darstellen. Angepasste Strategien liefern die Architektur für die Positionierung in globalen Nischen. Neue Technologien, allen voran KI, sind der Motor, der die für diese Strategie notwendige Effizienz und Innovationskraft bereitstellt. Und ein robustes Risikomanagement fungiert als Sicherheitsprotokoll, das die unternehmerische Handlungsfähigkeit in einer turbulenten Welt schützt.

Der Tatendrang im „Dorf der Denker“ war ein starkes Signal für die Widerstandsfähigkeit und den Innovationswillen der österreichischen Wirtschaft. Mit dem bevorstehenden 40. ­Jubiläum im nächsten Jahr unterstreicht das Symposium seine anhaltende Relevanz als Impulsgeber – und Ort der Begegnung, an dem wertvolle Gespräche geführt und die Weichen für eine zukunftsfähige Wirtschaft gestellt werden können.

Aber kommen wir zum Abschluss noch ein letztes Mal auf das Leitmotiv der Veranstaltung zurück: Under pressure. Man sagt, unter hohem Druck entstünden Diamanten. Wenn man den unschätzbaren Wert smarter Strategien, zwischen­menschlicher Interaktion und unter­neh­mens­über­­greifender Kooperation anerkennt, dann ist dieses „Bonmot“ auch in diesem Zusammenhang durchaus angebracht. (RNF)