Vorsprung durch Robotik

NEW BUSINESS Guides - AUTOMATION GUIDE 2017
Bis 2018 soll es weltweit schätzungsweise 1,3 Millionen industrielle Robotersysteme geben. © ABB

Roboter werden zunehmend zum vollwertigen Assistenten

Die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung verändert Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend. Erfolgreiche Unternehmen müssen die digitale Transformation nicht nur verstehen, sondern diese auch aktiv mitgestalten, um die Nase im Wettbewerb vorn zu haben. Die jüngsten Entwicklungen in der Robotik verschaffen Nutzern hier einen deutlichen Vorsprung.

Bis 2018 soll es weltweit schätzungsweise 1,3 Millionen industrielle Robotersysteme geben, die eine breite Palette von Aufgaben in den verschiedensten Industrien übernehmen – vom Schweißen in der Automobilindustrie über das Verpacken in der Lebensmittelherstellung bis hin zum Druckguss in der Metallindustrie. Mittlerweile sind viele dieser Systeme in automatisierten Produktionsanlagen auch miteinander vernetzt. Denn das Industrial Internet of Things (IIoT) und die smarte Fabrik leben von Kommunikation und Daten.
Doch sobald die Roboter beziehungsweise das System, in dem sie arbeiten, mit dem Internet verbunden sind, können sie zum Einfallstor für Cyberangriffe werden, warnen Security-Spezialisten. Ein aktueller Bericht von Trend Micro, im Rahmen dessen die Relevanz von Sicherheit bei modernen Industrierobotern untersucht wurde, zeigt, dass roboterspezifische Angriffe durchaus im Bereich des Möglichen liegen und eine ernst zu nehmende Gefahr für die Smart Factory darstellen, betonen die Verfasser.
Durch Vernetzung und externe Zugriffsmöglichkeiten wird auch die Angriffsfläche der Industrieroboter immer größer. So ermöglichen Web-Services beispielsweise den externen Zugriff auf den Roboter-Controller und es finden sich bereits Apps, mit denen die Mitarbeiter die Roboter in der Fabrik über ihr Smartphone steuern können. Manche Industrieroboter können laut Trend Micro sogar direkt über das öffentliche Internet erreicht werden, um Monitoring und Fern­wartung durchzuführen. Es bedarf daher der gemeinsamen Anstrengung von Roboter- und Software-Entwicklern, Betreibern und Sicherheitsexperten, um die sensiblen Robotersysteme zu schützen.

Roboter mit telepathischer Verbindung
Die Entwicklung im Bereich der Robotik schreitet jedenfalls rasant voran. So haben Forscher der Chinese Academy of Sciences vor Kurzem einen Algorithmus auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) entwickelt, der anhand der Gehirnaktivität akkurat Buchstaben und Zahlen erkennt, die gesehen werden. Bei diesem Forschungsansatz handle es sich, so die Forscher, um einen weiteren Schritt auf dem Weg zur telepathischen Verbindung ­zwischen Mensch und Roboter. Das angewandte Verfahren basiert auf funktioneller Magnetresonanztomografie.
In ihrer Forschungsarbeit haben sich die Wissenschaftler auf den visuellen Cortex, einen Teil des visuellen Systems, fokussiert. Während des Lesens von Buchstaben und Zahlen kommt es im visuellen Cortex zur Bildung von dreidimensionalen Mustern. Diese korrespondieren mit den Symbolen, die durch die Augen gesehen werden. Der KI-Algorithmus entschlüsselt diese dreidimensionalen Muster anschließend und ordnet sie zu.
Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Der Algorithmus, auch als Deep Generative Multiview Model (DGMM) bezeichnet, konnte das Originalbild nachempfinden. „In den Bildern, die durch das DGMM rekonstruiert wurden, sind alle wesentlichen Merkmale der präsentierten Abbildungen erfasst worden“, erläutert Changde Du von der Chinese Academy of Sciences. Die Rekonstruktionen der handschriftlichen Buchstaben und Ziffern seien sogar sehr präzise.

Assistenzroboter werden kommerziell nutzbar
Auch in anderen Bereichen schreitet die Entwicklung munter voran, etwa im Bereich der unterstützenden Serviceroboter. Mit Care-O-bot 4 hat das Unity-Robotics-Gründerteam aus dem Fraunhofer IPA bereits Anfang 2015 einen solchen Roboter vorgestellt. Heute begrüße Paul, wie der Roboter benannt wurde, Kunden in einem Saturn-Markt, wo er ihnen auch den Weg zum gewünschten Produkt zeigt. Der Roboter kenne die Standorte aller Produkte im Markt und führe die Kunden zielsicher zum passenden Regal, er­klären die Entwickler. Das Fraunhofer IPA entwickelte den ersten Prototypen des Care-O-bot ursprünglich als Assistenzroboter zur aktiven Unterstützung im Haushalt, in Pflegeheimen oder Krankenhäusern. In Zusammenarbeit mit dem Designstudio Phoenix Design und der Firma Schunk hat man drei Jahre lang an der Fertig­stellung der vierten Generation gearbeitet. Die aktuelle Version bietet als modulare Produkt­familie nun erstmals eine verwertbare Basis für kommerzielle Lösungen. Zur Orientierung in seiner Umgebung nutze Paul Laserscanner. Die Software Shore und eine Kamera ermöglichen es Paul sogar, die Gefühlslage eines menschlichen Gesprächspartners zu erkennen und entsprechend zu reagieren.
Ingenieure der Technischen Universität Delft haben indes eine revolutionäre Software für einen Roboterarm entwickelt, der unvorsichtige Mitarbeiter, die in seine Nähe kommen, nicht verletzen kann. Der Arm wurde dafür mit einer Haut aus unterschiedlichen Sensoren bestückt, die ihn in seiner Bewegung stoppen würden, wenn er einem lebendigen oder toten Hindernis zu nahe käme, wie die Forscher unterstreichen.
Der Roboterarm wurde im Rahmen der europäischen Forschungsinitiative Factory-in-a-Day entwickelt. Deren Ziel ist es, die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Industrie zu steigern. Haupt­hindernisse für den Einsatz von Robotern sollen beseitigt werden, damit diese innerhalb kürzester Zeit für neue Aufgaben umgerüstet werden können. Und auch die Kosten sollen entscheidend sinken. Ein Faktor, der heute enorme Kosten verursacht und zudem viel Zeit benötigt, sind die Sicherheitseinrichtungen und -zonen für die Roboter. Damit niemand verletzt wird und Schäden vermieden werden, arbeiten Roboter heute üblicherweise in abgesperrten Bereichen. Wenn Roboterarme Sensoren hätten, wäre diese Vorsichtsmaßnahme nicht mehr nötig. Selbst wenn Mitarbeiter sich in Gefahr begeben und die Sicherheitszone betreten, etwa um eine kleine Störung zu beseitigen, hätten sie nun nichts mehr zu befürchten.

Sensible Roboterhaut verhindert Unfälle
In Kooperation mit Experten von Siemens und der Technischen Universität München wurde das Kontrollsystem hinter der Technologie entwickelt. „Es gibt schon Technologien zur Verbesserung der Sicherheit im Arbeitsbereich von Robotern. Aber keine ist so intelligent und effektiv wie diese“, erklärt Forscher Carlos Hernandez Corbato dem Branchendienst „pressetext“. Die Sensoren ­würden Drücke, Temperaturen, Abstände und Beschleunigung erfassen. Ein weiterer Vorteil sei die Fähigkeit der Sensorhaut, sich selbst zu ­kalibrieren.
Im Georgia Institute of Technology wurde mit Tarzan ein Feldroboter entwickelt, der statt von Liane zu Liane entlang von Drähten über den Acker schwingen kann. Weil diese in regelmäßigen Abständen über den Feldern gespannt sind und das Hightech-Gerät über eine eingebaute Kamera verfügt, könnten so regelmäßig Bilder der gedeihenden Ernte aufgenommen werden, so die Forscher.
Das Robotik-Start-up Locus Robotics hat seinen LocusBots ein von Grund auf neu designtes intelligentes Navigationssystem spendiert, welches das Suchen und Befördern von Waren in großen Lagerhallen deutlich effizienter gestalten soll. Im Kern gehe es vor allem darum, den kleinen ­künstlichen Lagerarbeitern zu ermöglichen, nicht nur untereinander, sondern auch mit menschlichen Kollegen zusammenzuarbeiten. Dadurch lasse sich in Warenlagern deutlich Zeit und Geld sparen.
„Ein effektives Arbeiten im E-Commerce erfordert, dass man mit explodierenden Mengen von Artikelnummern und zunehmend größer wer­denden Bestellvolumen zurechtkommen muss. Hinzu kommen hoch individuelle Verpackungen, die auf den Konsumenten zugeschnitten sind, und höhere Anforderungen, was die erwartete Lieferzeit betrifft“, erklärt Mike Johnson, Chief of Operations bei Locus Robotics. „Unser innovatives System macht es ganz leicht, auf ein steigendes Warenvolumen und saisonale Spitzen reagieren zu können, während man die Kosten genau im Blick hat.“ Dem Experten zufolge sei der E-Commerce-Sektor prinzipiell „eine eher unstrukturierte Welt“. Man könne deshalb nicht alle unterschiedlichen Aufgaben und Probleme mit einer pauschalen Lösung angehen. „Manche Lagerhallen ändern sich ständig. Dort gibt es viele Menschen, Produkte und Geräte, die sich bewegen“, schildert Johnson. Künstliche Helfer wie die LocusBots müssten sich deshalb jederzeit selbstständig an die Gegebenheiten anpassen können. „Das ist eine ähnliche Herausforderung wie bei selbstfahrenden Autos. Die Roboter müssen sicher selbst navigieren können und daneben auch dazu beitragen, dass ihre menschlichen Kollegen produktiver sein können.“
Bislang hätten die LocusBots ein Navigationssystem verwendet, das im Grunde wie Google Maps mit einer darübergelegten Ebene für Aufgaben­planung und optische Raumerfassung funktioniert hat. „Die Roboter hatten eine vorinstallierte Karte zur Verfügung, über die sie ihre Arbeits­route planen konnten. Mithilfe verschiedener Sensoren konnten sie zumindest eingeschränkt auf ihre Umgebung reagieren.“

Roboter tauschen Informationen aus
Mit dem Locus Robotics Advanced Navigation System (LRAN) könnten die Roboter untereinander Infos über verschiedene Standorte, Hindernisse, Menschen und Ereignisse austauschen. „Diese Verschmelzung von verschiedenen Daten erlaubt es den Robotern, ein umfassendes Bild von ihrer Umgebung zu bekommen. Es ermöglicht ihnen auch, besser auf bestimmte Probleme reagieren zu können, um beispielsweise nicht mit einem vorbeilaufenden Roboter- oder Menschenkollegen zu kollidieren“, unterstreicht Johnson.
Soft-Roboter über magnetische Felder zu steuern, gelang indes Forschern der North Carolina State University. Die Modulation erfolge dabei mittels Mikropartikelketten, die in die Komponenten des Soft-Roboters integriert seien. Um die Versuche durchzuführen, haben die Wissenschaftler Eisenmikropartikel in ein flüssiges Polymergemisch eingebettet. Anschließend wurde das magnetische Feld genutzt, um die Mikropartikel in parallelen Ketten anzuordnen. „Hierbei handelt es sich um einen reinen Forschungsansatz, der aber für die Robotik sehr wichtig und interessant ist. Dennoch sehe ich einige Problemstellungen: So müssen die Konstruktionen gekapselt werden, da es sonst in einer elektromagnetischen Umgebung zu Störungen sowie Zusammenbrüchen kommen kann“, sagt Robotikexperte Markus Vincze von der Technischen Universität Wien.
Nach der Modulation der Mikropartikelketten wurde das Polymergemisch getrocknet. Das Ergebnis war ein dünner, elastischer Polymerfilm, in den die angeordneten Mikropartikelketten integriert waren. „Die Ketten erlauben uns das ferngesteuerte Manipulieren des Polymers. Die Steuerung funktioniert mithilfe des Magnetfelds, das die Mikropartikel ausrichtet“, erklärt Joe Tracy von der North Carolina State University. „Die Anwendungsmöglichkeiten dieses Ansatzes reichen von ferngesteuerten Pumpen für die Medikamentenverabreichung bis hin zu Strukturen, die aus der Ferne eingesetzt werden können.“ Dabei sei eine Variation der Richtung und der Intensität des Magnetfelds möglich. Je nach Richtung des Magnetfelds erfolge die Anordnung der Eisenmikropartikelketten sowie des Polymers.
Mithilfe dieser Technik haben die Forscher nun drei Arten von Soft-Robotern entwickelt: Bei einem Device handelt es sich um einen Kragträger, der das 50-Fache seines Eigengewichts heben kann. Die zweite Struktur ist einem Akkordeon ähnlich. Diese ahmt einen Muskel nach, indem sie sich ausdehnt und zusammenzieht. Bei der dritten Konstruktion handelt es sich um einen Schlauch, der zum Einsatz als Schlauchpumpe gedacht ist.

Roboter über das Web steuern
Das Fachgebiet Neuroinformatik und Kognitive Robotik der TU Ilmenau konzipierte und realisierte in Zusammenarbeit mit dem Software­hersteller TecArt eine Machbarkeitsstudie zum Einsatz einer webbasierten Robotersteuerung. Der Roboter besitzt die Fähigkeiten, Bilder, Umgebungskarten, Steuerkommandos und Metadaten zu verarbeiten und darauf zu reagieren. Vier Kameras am Kopf des Roboters ermöglichen eine Live-Video-Übertragung. Durch die Übernahmen von Transportdiensten sowie Kontroll­aufgaben ist ein Einsatz des Roboters im Pflege­bereich sowie privaten und gewerblichen Secu­rity- beziehungsweise Überwachungssektor angedacht. Möglichen Personalengpässen oder Gefahren­situationen kann damit entgegen­gewirkt werden.
Als Kommunikationsschnittstelle zwischen der Robotik-Middleware MIRA und der webbasierten Software TecArt CRM wird das Add-on-Framework genutzt. Hierfür entwickelte TecArt einen eigenen XML-Dialekt. Dieser abstrahiert die grafische Benutzeroberfläche so weit, dass Entwickler – welche das Framework nutzen – sich lediglich auf technische Entwicklungen konzentrieren müssen. Usability und GUI werden durch das Framework angepasst. „Ziel war es, die individuellen und hochkomplexen Zusatzfunktionen, wie zum Beispiel eine Echtzeitrobotersteuerung, innerhalb der TecArt-Software update- und funktionssicher zu machen“, erklärt Christian Friebel, CTO bei TecArt.
Das TecArt-System agiert als Eingabeoberfläche zur Steuerung des Roboters sowie zur Darstellung des aktuellen Roboterzustands und seiner Aufenthaltsposition. Aufgrund des integrierten Add-on-Frameworks im CRM können sich Entwickler vollständig auf die Programmierlogik und Anwendungsfunktionen konzentrieren. Zusätzlicher Aufwand zur Anpassung an das User-Interface und für die Kommunikation mit dem Anwender ist nicht notwendig. Vollkommen neuartig ist dabei die Anwendung der Unternehmenssoftware TecArt CRM, deren Ursprung im Kundenbeziehungsmanagement liegt, zur Fernsteuerung eines Roboters.

Robotergestütztes Palettiersystem
Der Palettieranlagenspezialist Langhammer präsentierte mit einer Kombination aus Knickarm­roboter, Fördertechnik und Lagengreifer ein kompaktes, hochflexibles Komplettsystem für die lagenweise Palettierung unterschiedlichster Produktgruppen. Das robotergestützte Layer-Handling-System biete gegenüber herkömmlichen Lagenpalettierern eine Platzeinsparung von bis zu 40 Prozent, verspricht der Hersteller. Die Basis der Systemlösung bildet die von Langhammer patentierte Handling-Komponente The Wave. Diese arbeitet beim produktschonenden Umsetzen der Produktlagen mit einem Carbongreifer und kommt ohne Pressdruck aus. Durch eine im Förderband erzeugte Welle nimmt ein geteilter Greifer­boden die Produktlagen sicher auf. Komprimierungen von allen vier Seiten richten die Lagenformation exakt im gewünschten Lagen­layout aus, während der Greiferboden unter der Lage geschlossen wird. Auf dem Greiferboden stehend und durch die Komprimierung fixiert, wird die Lage dann ohne Pressdruck sicher umgesetzt. Mit diesem Verfahren macht The Wave die Verwendung unterschiedlicher Formatteile überflüssig, die bei herkömmlichen Klemmgreifern zur Erstellung spezieller Setzbilder, etwa für Lagenbilder mit Lücken, benötigt werden.
Die Kombination von The Wave mit dem Langhammer-Knickarmroboter AR500 erschließt da­rüber hinaus weitere Vorteile. Die System­lösung ist nicht nur auf geringsten Raumbedarf und höchste Palettierqualität ausgelegt, sondern ermöglicht über die speicherprogrammierbare Steuerung (SPS), wahlweise Siemens oder Rockwell, auch die direkte Programmierung des ­Roboters ohne Roboter-Programmierkenntnisse. Damit bietet das durchgängige Langhammer-Bedienkonzept eine einfache Konfiguration der Palettierlösung, die sich kurzfristig und flexibel an neue Aufgaben anpassen lässt. (TM)
www.trendmicro.de, www.english.cas.cn
www.innorobo.com, www.blitzblank.at
www.tudelft.nl, www.siemens.com
www.tum.de, www.gatech.edu
www.locusrobotics.com
www.ncsu.edu
www.tuwien.ac.at
www.langhammer.de