Festvortrag des Verhaltensökonoms Ernst Fehr © APA - Austria Presse Agentur
Die Analyse des realen Verhaltens von Menschen in wirtschaftlichen Fragen hat erst in den vergangenen Jahrzehnten so richtig Einzug in die Wirtschaftswissenschaften gehalten. Einer der großen Impulsgeber dafür ist der Verhaltensökonom Ernst Fehr. Am Freitag hält der an der Uni Zürich tätige Vorarlberger den Festvortrag bei der feierlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien. Gerede über einen etwaigen Nobelpreis findet er übertrieben, sagte er zur APA.
Er wolle sich vor allem darauf konzentrieren, zu forschen und Neues zu entdecken, so der am 21. Juni 1956 in Hard geborene, vielfach ausgezeichnete Wissenschafter im Vorfeld seiner Rede im Festsaal der ÖAW unter dem Titel "Die empirische und verhaltenswissenschaftliche Revolution in den Wirtschaftswissenschaften". Momentan gilt sein Interesse u.a. einem sehr aktuellen Thema: Was nämlich in einem Markt passiert, wenn Firmen ihre Produkte mehr oder weniger künstlich komplexer gestalten - auch um letztlich Konsumenten den Wechsel zu einem anderen Produkt zu erschweren, wie Fehr erklärte.
Ist der Kunde auf neuen Märkten noch König?
Ein Beispiel: Er selbst habe kürzlich in einem Hotel in den USA erlebt, dass man dort für das Bettenmachen extra bezahlen muss. Diese Information wurde wohlgemerkt erst nach dem Einchecken prominenter dargeboten. Das Produkt wurde also nachträglich komplexer - und teurer. Aber: Wer nimmt in so einer Situation nochmals die Koffer in die Hand und sucht sich ein anderes Hotel? Es liegt nahe, dass es gezielt darum geht, die "Suchkosten" für den Kunden künstlich zu erhöhen, und ihm dadurch den Vergleich und den Umstieg auf Alternativen zu erschweren. Letztlich sägt das am klassischen Credo, dass der Kunde die Wahl hat - und damit "König ist".
Die Grundlage für solche Entwicklungen - Ähnliches betreiben etwa Fluglinien, deren ursprüngliche Basisangebote sich erst kurz vor der Kaufentscheidung durch mannigfaltige Zusatzkosten verteuern - ist der Siegeszug von Erkenntnissen aus Experimenten in den Wirtschaftswissenschaften. Fehr: "Die Volkswirtschaftslehre ist in den letzten 50 Jahren komplett umgekrempelt worden."
Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen auf der Spur
Die Grundlage dafür waren auch die leistungsfähigeren Computer, die statistische Modelle sekundenschnell durchrechnen konnten. Aber vor allem war es die Methode - die Empirie in Form von kontrollierten Labor- und Feldexperimenten -, die das Forschungsfeld radikal verändert hat. So kann man testen, was eine Intervention - etwa eine fiktive oder reale Einführung einer Steuer - im konkreten Erleben und Verhalten von Menschen zu ändern vermag. "Dadurch kann ich kausale Aussagen machen" - also Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge offenlegen. "Wir haben einfach viel solideres Wissen", so der Professor für Mikroökonomik und Experimentelle Wirtschaftsforschung, der im unternehmerischen und akademischen Umfeld wissenschaftlich arbeitet.
Das ist für Politik-, aber auch in der Unternehmensberatung essenziell. Der 69-Jährige beschäftigt sich im Rahmen der Firma "FehrAdvice" auch bereits seit einigen Jahren damit, das empirische Wissen Kunden zugänglich zu machen. So könne man etwa als Versicherung mit geschickt formulierten Botschaften und Informationen Versicherungsbetrug hintanhalten und die Rate der unwahren Angaben nachweislich um einige Prozentpunkte reduzieren.
Fehr: "Experimentation is everywhere"
Zurück zum Beispiel mit dem Hotelzimmer oder dem preisgesteigerten Flugticket: "Experimentation is everywhere - Google, Amazon, Zalando, Facebook und Co machen täglich tausend Experimente mit uns auf der ganzen Welt", sagte Fehr. Oft gehe es darum, mit geschickter Positionierung von Inhalten und Informationen potenzielle Kunden möglichst lange auf einer Website oder in einem Chat zu halten. "Wie jedes Wissen, kann man das positiv oder negativ nützen. Viele Unternehmen nutzen das aber meiner Meinung nach noch nicht so positiv, wie sie könnten", meinte Fehr.
So gut die Methode auch in vielen Bereichen funktioniert, sie tut es vor allem im statistischen Durchschnitt - im Kollektiv. Hat man es aber mit einem einzelnen Individuum zu tun, das sich höchst unkonventionell verhält, wird es logischerweise schwierig. So sei US-Präsident Donald Trump, der mit seinen Ansagen und mitunter postwendenden Absagen selbiger, seit Wochen Unruhe in wirtschaftspolitischen System stiftet, sicher ein "extremes Phänomen. Trump lesen, ist ein bisschen wie Kaffeesatz-Lesen. Da stößt jede Methode an ihre Grenzen", betonte Fehr.
"Zeigt doch empirisch, dass ihr recht habt!"
"Wenn man Dinge in der Wissenschaft nicht empirisch entscheiden kann, bilden sich Schulen", die um die Deutungshoheit streiten: "Da wird Evidenz durch Glaube ersetzt." Davor warnt Fehr eindringlich. Wenn etwa neue, alternative Herangehensweisen - oft zusammengefasst unter den Stichwort "heterodoxe Ökonomie" - auftauchen, müssten diese letztlich ihre moralisch mitunter nachvollziehbaren Thesen auch solide untermauern können: "Zeigt doch empirisch, dass ihr recht habt!"
Gesichertes Wissen - wie etwa zur Schädlichkeit des Passivrauchens oder die immer bessere empirische Untermauerung der Beobachtung, dass die immensen CO2-Emissionen weniger reichen Menschen den Klimawandel unverhältnismäßig stark antreiben - habe dann auch das Potenzial, gesellschaftliche Normen nachhaltig zu verändern.
Etwaiger Nobelpreis eher Thema bei Journalistenfragen
Über das persönliche Veränderungspotenzial, das die Zuerkennung des Wirtschaftsnobelpreises hätte, denke er nicht aktiv nach. Er denke eher an einen Urlaub, wenn sich die Zeit der Verlautbarung im Herbst einstellt, "damit ich von dem ganzen Trubel nichts mitkriege. Ich versuche, mich davon völlig abzukoppeln, weil es nicht in meiner Hand liegt. Ich will mir die Freude an der Arbeit nicht nehmen lassen durch irgendwelche Erwartungen, die dann möglicherweise nicht erfüllt werden!" Die Aufregung um das Thema käme eigentlich immer von außen - etwa durch Journalistenfragen.