Auf den Straßen der Zukunft

NEW BUSINESS Innovations - NR.10, DEZEMBER 2021
Die teilnehmenden Branchenführer diskutierten die aktuell wichtigen Fragen und wie sich die Schwierigkeiten, die dem autonomen Fahren entgegenstehen, auflösen lassen. © Christian Steinbrenner

Die Veranstaltungsreihe der The Autonomous-Initiative versammelte 500 führende Experten und Entscheidungsträger von 170 Unternehmen, die neueste Technologien des autonomen Fahrens ...

... Rahmenbedingungen und Sicherheitskonzepte diskutierten. 

Die Automobil- und Technologieindustrie hat erhebliche Fortschritte bei der Automatisierung einer rein menschlichen Fähigkeit gemacht: dem Autofahren. Verbraucher profitieren heute von Autos, die helfen, Unfälle zu vermeiden, automatisch die Fahrspur halten und Einparken. Mit jedem Tag wird es wahrscheinlicher, dass bald vollautonome Fahrzeuge das Verkehrsgeschehen bestimmen. 

Großes Potenzial mit größeren ­Herausforderungen
Autonome Fahrzeuge haben das Potenzial, künftiges Reisen und Mobilität grundlegend zu verändern. Sie vermeiden dann nicht nur tödliche Unfälle, sondern erleichtern älteren und behinderten Menschen das Leben, erhöhen die Verkehrskapazität, sparen Kraftstoff und machen das Reisen komfortabler und nachhaltiger. So werden autonome Fahrfunktionen eine der wirtschaftlichen Triebkräfte der künftigen Automobil­industrie darstellen — Goldman Sachs prognostiziert, dass der globale Markt autonomer Fahrzeuge bis zum Jahr 2025 96 Mrd. US-Dollar betragen wird und dass der gesamte jährliche wirtschaftliche Nutzen autonomer Fahrzeuge bis zum Jahr 2050 bei mehr als 3,5 Billionen US-Dollar liegen kann. 

Doch obwohl die Branche mit Hochdruck an der Entwicklung des autonomen Fahrens arbeitet, gibt es noch große Herausforderungen. Dazu gehören technologische blinde Flecken, Gefahren im Bereich der Cybersicherheit, fehlende allgemeingültige Sicherheitsnormen sowie offene regulatorische und haftungsrechtliche Fragen. Zudem müssen Sicherheit und Zuverlässigkeit gewährleistet sein, um eine breite Verbraucherakzeptanz zu erreichen. 

„Zusammenarbeit ist in Zukunft keine Option mehr. Zusammenarbeit ist ein Eckpfeiler, um ein Ökosystem für eine autonome Zukunft aufzubauen“, formulierte Edzard Overbeek, CEO von HERE, als einer der Hauptredner auf der Hauptveranstaltung von The Autonomous in Wien.

Ricky Hudi, Vorsitzender der Initiative, brachte die klare Botschaft der Veranstaltung auf den Punkt: „Die Automobilindustrie steht vor einer historischen Chance. Die kommenden Jahren werden das Verständnis von Mobilität neu definieren. Die Bewältigung der Sicherheitsherausforderungen für echtes automatisiertes Fahren kann nicht von einem einzelnen Automobilhersteller, Zulieferer oder Technologieunternehmen gemeistert werden.“ 

Disruptiv vs. traditionell – ein Innovationsrezept? 
Digitalisierung, Automatisierung und neue Geschäftsmodelle revolutionieren momentan viele Branchen: Die Automobilindustrie stellt da keine Ausnahme dar. Aber wie können führende Unternehmen den Wandel erfolgreich vollziehen? 

Sowohl etablierte Technologieunternehmen als auch Start-ups spielen bei der Entwicklung von autonomen Fahrzeugen eine wichtige Rolle. Etablierte Automobilunternehmen müssen mit „den Neuen“ der Branche zusammenarbeiten und in die Entwicklung neuer Technologien und Funktionen investieren. Auf der anderen Seite benötigen disruptive Unternehmen OEMs (Automobilhersteller), um ihre Technologie in serienerprobten Fahrzeugen auf die Straße zu bringen.

Die Zusammenarbeit in einem Ökosystem ist daher von entscheidender Bedeutung, insbesondere wenn es um die Bewältigung komplexer Sicherheitsherausforderungen geht. Alejandro Vukotich, als Vizepräsident verantwortlich für das Produktmanagement im Automotive-Bereich bei Qualcomm, bekräftigte diese Haltung: „In diesem Bereich gibt es innovative und disruptive Unternehmen sowie traditionelle Branchen. Jeder Ansatz allein bringt uns nicht dorthin, wo wir hinmüssen.“ 

Auch Jody Kelman, Geschäftsführerin von Lyft Autonomous, erläuterte, wie wichtig es ist, dass beide Welten — die traditionelle und die disruptive — ihre Kräfte vereinen: „Es geht weniger um die stufenweise Entwicklung gegenüber einer disruptiven Innovation, sondern vielmehr darum, an welcher Stelle der Wertschöpfungskette man den Endverbraucher – besser früher als später – in den Prozess einbezieht.“ 

Um den größtmöglichen Nutzen aus der Zusammenarbeit zu ziehen, ist es zur Steuerung von Innovationen erforderlich, dass OEMs und disruptive Unternehmen durch eine ständige Feedbackschleife verbunden sind. „In der Automobilindustrie müssen wir in allen Bereichen von gemeinsamem Interesse zusammenarbeiten“, fasste Reinhard Ploss, der CEO von Infineon, zusammen. 

Breite Akzeptanz setzt größeres Vertrauen voraus
Trotz außerordentlicher Bemühungen vieler führender Technologie- und Automobilunternehmen braucht es für eine breite Akzeptanz von autonomen Fahrzeugen ein noch größeres Vertrauen in deren Sicherheit. Vertrauen ist ein psychologischer Aspekt, wie Simon Segars, CEO von ARM, sagte, aber Technologie kann dazu beitragen, die Sicherheitswahrnehmung zu unterstützen. 

Es gibt zwar kein Patentrezept für garantierte Sicherheit, aber eine gemeinsame Systemarchitektur, die auf größtmögliche Sicherheit abzielt, ist ein erster wichtiger Schritt. Allerdings können OEMs und Technologieanbieter dies nicht im Alleingang erreichen. Bernhard Augustin von CARIAD, dem Automotive-Software-Unternehmen des VW-Konzerns, ergänzte: „Wenn wir Sicherheit bieten wollen, müssen wir verstehen, wie die jeweiligen Ebenen – Chiphersteller, Automobilunternehmen, Systemanbieter – zusammenarbeiten. Das ist die Herausforderung.“ 

Sicherheit durch mehrfach abgesicherte ­Systeme
Stefan Poledna, CTO von TTTech Auto, beschrieb, wie sich ein autonomes System sicher aufsetzen lässt: „Jedes System kann ausfallen, insbesondere die sehr komplexen Systeme. Wir müssen über eine gemeinsame Systemarchitektur sprechen. Im Wesentlichen bedeutet dies Redundanz. Wir benötigen eine Architektur, bei der jeder Fehlerpunkt mehrfach abgesichert ist.“ Die einzige Möglichkeit, potenzielle Fehler zu vermeiden, besteht daher darin, autonome Fahrzeuge von Anfang an anhand eines Sicherheitskonzepts zu entwickeln.

The Autonomous hat bereits im Juni dieses Jahres eine erste Arbeitsgruppe mit dem Titel „Safety & Architecture“ (Sicherheit und Architektur) gegründet, die Automobilhersteller und führende Unternehmen aus Technologie und Forschung zusammenbringt, um eine sichere Systemarchitektur für selbstfahrende Fahrzeuge zu konzipieren. Eine einheitliche Definition und Messung von Sicherheit kann die breite Akzeptanz von autonomen Fahrzeugen befördern.

Dazu fasste Sagar Behere, Leiter für System- und Sicherheitstechnik bei Aurora, zusammen, die aktuellen Sicherheitsnormen seien noch zu „abstrakt“ und es gäbe zudem noch keine einheitliche Definition: „Bei autonomen Fahrzeugen müssen wir in den sauren Apfel beißen und genau definieren, was wir unter Sicherheit verstehen.“ 

Zusammenarbeit ist die Anwort
Die Automobilindustrie ist mit enormen technischen und rechtlichen Problemen konfrontiert, wenn es darum geht, sichere selbstfahrende Autos auf die Straße zu bringen. Zusammenarbeit ist die Antwort. Die auf der Hauptveranstaltung von The Autonomous vermittelten Erkenntnisse belegen, wie notwendig es ist, dass die Akteure autonomer Fahrzeuge zusammenarbeiten, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Georg Kopetz, CEO von TTTech Auto, fasste den Geist der Veranstaltung treffend zusammen: „Globale Zusammenarbeit ist der Dreh- und Angelpunkt, um eine sichere autonome Entwicklung Wirklichkeit werden zu lassen. Alle unsere Unternehmen verfügen über zahlreiche Erfahrung und umfassendes Wissen. Dieses Wissen müssen wir aber in einem vorwettbewerblichen Umfeld zusammenführen.“ (BO)