Experten am Wort

NEW BUSINESS Innovations - NR. 09, NOVEMBER 2019
Experten blicken in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Schaltschrankbaus. © Phoenix Contact

Wohin die Reise im Schaltschrankbau führt, welche Herausforderungen aktuell ­bewältigt werden müssen und was man alles findet, wenn Branchenexperten die Türe zum Schaltschrank der Zukunft öffnen?

Wir wollten wissen, wie es gelingt, die steigenden Anforderungen im Schaltschrankbau unter einen Hut bzw. in einen Schrank zu bekommen, welche Trends aktuell den Markt beherrschen und auf welche Entwicklungen wir in Zukunft gespannt sein dürfen, und haben dafür bei heimischen Branchenexperten nachgefragt. 

RECENTLY ASKED QUESTIONS
1. Was macht Ihr Unternehmen einzigartig? Was sind Ihre ­spezifischen Stärken?
2. Wohin entwickelt sich Ihre Branche? Wenn Sie Ihr Geschäft von heute mit dem vor 15 Jahren vergleichen, was sind dann die größten ­Unterschiede?
3. Auf welche Punkte wird bei der Weiterentwicklung Ihrer Produkte besonderer Wert gelegt?
4. Würden Sie für unsere ­Leser einen Blick in die Zukunft riskieren? Wie wird ein ­Schaltschrank in zehn Jahren aussehen?
5. Welche Ansprüche stellen die Kunden von heute an den Schaltschrankbau und wie ­lassen sich diese erfüllen?
6. Welche Auswirkungen haben Trends wie (I)IoT und Industrie 4.0 oder Outsourcing und Cloud-Computing auf die ­nachfrage?
7. Entstehen durch diese neuen Möglichkeiten auch neue Anforderungen an die Produkte?
8. Was ist für Sie persönlich aktuell die größte Herausforderung im Schaltschrankbau?

Ing. Martin Berger
Geschäftsführer Österreich, EPLAN Software & Service GmbH
1. EPLAN bietet mit den EPLAN Solutions Softwareprodukte an, die man entlang der Wertschöpfungskette zur Optimierung seiner Arbeitsweise einsetzen kann. Die einzelnen Produkte wurden in den letzten Jahren laufend an die neuen Marktanforderungen angepasst, neue Technologien eingebaut und mit Blick auf die Zukunft bereits neue Möglichkeiten geschaffen, um das Engineering und die Revision von Projekten noch besser zu machen.
2. Die Digitalisierung hat hier sicher einen sehr starken Einfluss genommen. Waren vor 15 Jahren noch Features & Functions ein Thema, so wird heute ganz klar vorausgesetzt, dass die wichtigsten Funktionalitäten bereits Bestandteil einer Basisfunktionalität sind. Die Kunden wollen heute Unterstützung bei der Optimierung der Arbeitsabläufe im jeweiligen Unternehmen haben. Die Bereitschaft, Daten mit anderen benachbarten Systemen wie ERP, PDM/PLM oder auch mit der Fertigung auszutauschen, ist heute wesentlich höher als früher. Auch deswegen, weil die dazu zur Verfügung stehenden Technologien bereits ohne Probleme funktionieren. EPLAN hat in den letzten Jahren einen starken Zuwachs im Bereich Schnittstellen und ergänzende Produkte für die Fluid- und Prozesstechnik verzeichnen können. Das zeigt, dass unsere Kunden sich immer mehr Gedanken über das Thema Daten und deren Verwendung entlang des Produktentstehungsprozesses machen.
3. Ganz vorne steht die Durchgängigkeit der verwendeten Daten. Durch das Zusammenspiel aller EPLAN Solutions entlang der einzelnen Arbeitsschritte bei unseren Kunden helfen wir, die Optimierung der Workflows im Sinne der Digitalisierung voranzutreiben. Eine wichtige Rolle spielt da auch die Einbindung neuer Technologien, wie z. B. die von Cloudlösungen. Hier bieten wir mit ePulse und den Lösungen eView und Cogineer professionelle, sofort in der Praxis verwendbare Zusatzprodukte an. Wir haben ja bereits gute Erfahrung mit Cloudlösungen – unser EPLAN Data Portal ist ein etabliertes Produkt, das die Nutzung von Datenkatalogen zahlreicher Herstellern zum sofortigen Einsatz im Engineering ermöglicht.
4. Das ist eine spannende Frage. Man sieht ja, wohin die Entwicklung z. B. bei der Automobilindustrie geht. Das wird sicherlich auch in das Zulieferumfeld und deren Arbeitsweise Auswirkungen haben. Es wird in Zukunft sicher stark dahin gehen, dass man die Effizienz in der Schaltschrankfertigung deutlich steigern wird. Neben einem automatisierten Engineering, wo man mehr auf Standards setzt, geht es auch außerdem darum, im Schaltschrankbau Routinearbeiten immer mehr an die Maschine zu bringen, um die qualifizierten Mitarbeiter frei für Spezialaufgaben zu haben. Wenn Bohrlöcher und Kabelkonfektionierung direkt vom CAE/CAD-System an die Fertigungsmaschine kommen, dann hat der Mitarbeiter mehr Zeit für jene Aufgaben, die höhere Konzentration und Aufmerksamkeit erfordern. Das Ergebnis sind fehlerfreie Projekte und eine wesentlich geringere Durchlaufzeit in der Fertigung.
Was sicherlich auch kommen wird, ist, dass die Dokumentation für Inbetriebnahme und Service / Maintenance nur mehr in digitaler Form direkt über einen QR-Code aus der Cloud abgerufen wird. Vorteil dabei sind immer aktuelle Daten, die jedem jederzeit zur Verfügung stehen und so aufwendige Arbeiten vermeidet. Gemeinsam mit der Fa. Rittal haben wir hier bereits einige Projekte realisiert, die genau vorher dargestellte Vorteile nutzen und so unsere Kunden in der Schaltschrankfertigung noch wettbewerbsfähiger machen.

Ing. Mag. Thomas Lutzky
Geschäftsführer Phoenix Contact GmbH
1. Das Familienunternehmen Phoenix Contact ist mit rund 18.000 Mitarbeitern weltweiter Marktführer und Innovationsträger in der Elektrotechnik und Automation. Innovativ zu sein gilt nicht nur für unsere 60.000 Produkte, wir beschreiten gemeinsam mit unseren Kunden neue Wege, persönlich und spezifisch, vom einzelnen Produkt bis zur kompletten Lösung. So leisten wir einen Beitrag, die Arbeit unserer Kunden einfacher und erfolgreicher zu gestalten, beginnend mit der einzelnen Komponente bis zur fertig konfektionierten Klemmleiste. Von den Standorten Wien, Linz, Graz und Vorarlberg aus stellt unser engagiertes Team die kompetente Beratung vor Ort sicher und setzt alles daran, dass unsere Kunden mit ihrer Entscheidung für Phoenix Contact zufrieden sind und zufrieden bleiben.
2. Der Schaltschrankbau von heute ist vielfach durch sinkende Losgrößen, kürzer werdende Lieferzeiten und steigenden Kostendruck – bei dem hohen Anteil an Prozesskosten – gekennzeichnet. Bezogen auf einen einfachen Anschlusspunkt werden mehr als 80 Prozent der Kosten durch den Prozess generiert und nicht durch das Material. Dies ist ein wichtiger Ansatzpunkt, um die Wirtschaftlichkeit in der Produktion von Maschinen und Anlagen zu verbessern. Viele Schaltanlagenbauer setzen deshalb auf getaktete und arbeitsteilige Bestückungsprozesse mit Assistenzsystemen. Dafür entwickelt Phoenix Contact in Kooperation mit Partnern aus der Forschung ein ganzes Lösungsportfolio. Die Komponenten selbst werden immer intelligenter und digitale Daten jeglicher Art spielen heute eine wesentlich größere Rolle, weil sie Arbeitsaufwände signifikant reduzieren. Digitalisierung schafft also Mehrwert.
3. Insbesondere auf das individuelle Feedback unserer Kunden und die Erfahrungen des hauseigenen Maschinenbaus. Grundsätzlich spielen bei der Weiterentwicklung immer auch Aspekte wie zusätzliche Funktionalitäten, komplette Produktfamilien, durchgängiges Zubehör, einfache und schnelle Montage, die Push-in-Anschlusstechnik, ressourceneffizienter Einsatz von Werkstoffen und Verpackung eine wichtige Rolle. So entstehen aus unserem Innovationsprozess immer wieder neue Produkte, die begeistern.
4. Der Schaltschrankbau ist in zehn Jahren automatisierter und digitaler als heute. Anlagen für das automatische Konfektionieren und Montieren von Tragschienen und das automatisierte Verdrahten von Reihenklemmen mit Push-in-Anschlusstechnik unterstützen ebenso industrielle Fertigungsprozesse. Neue Technologien wie Virtual und Augmented Reality werden wichtige Bausteine für den Schaltschrankbau der Zukunft sein. Und im Schaltschrank selbst werden Sie viele Komponenten von Phoenix Contact finden.

Andreas Hrzina
Leitung Marketing und Produkt­management, Rittal GmbH
1. Der Erfolg von Rittal setzt sich aus mehreren Aspekten zusammen. Am Anfang steht die Technologieführerschaft, die einen hohen Invest in die Produktentwicklung erfordert und die zu einer besonders hohen Anwenderfreundlichkeit führt, die dem Kunden konkrete Kostenvorteile bietet. Dazu kommt der Systemgedanke und die zahlreichen Zertifizierungen sowie die hohe Verfügbarkeit der Artikel prompt ab Lager. Was von Seiten unserer Kunden und Partner aber ebenfalls sehr geschätzt wird, ist unsere Beratungskompetenz im Innen- und Außendienst auf Top-Level. Und das österreichweit flächendeckend. Schlussendlich sammeln sich diese Aspekte alle im Rittal Brand, der als extrem positiver Verstärker am Markt wirkt.
2. Etwas zum Schmunzeln: vor 15 Jahren hat man uns prognostiziert, dass nun die schaltschranklose Automation kommt und stattdessen gekapselte Module eingesetzt werden. Nun, das hat sich nicht bewahrheitet. Insofern muss man mit Prognosen vorsichtig sein.
Allerdings gab es schon vor 15 Jahren Themen wie „industrielles Ethernet in Echtzeit“ oder „das EPLAN-Datenbackbone“ als Basis für die Verwendung von digitalen Daten in der Automatisierung und im Steuerungs- und Schaltanlagenbau. Die Vorläuferlösung für die heutige Industrie-4.0-Bewegung.
Die größten Veränderungsschübe gab es dann in den letzten sieben Jahren. Der Revolutionszug der Digitalisierung hat sich auch im Schaltschrankbau durchgesetzt. Gemeinsam mit EPLAN bietet Rittal seinen Kunden den kompletten digitalen Workflow vom Engineering bis zur Be- und Verarbeitung der Schränke an. Basierend auf der Engineering-Plattform EPLAN Pro Panel können nun wesentliche Fertigungsschritte wie das Anbringen von Ausbrüchen an allen Flachteilen, das Vorkonfektionieren der Drähte und Leitungen sowie viele andere manuelle Tätigkeiten durch die Maschinen von Rittal Automation Systems abgedeckt werden. Dabei werden ungeliebte, weil mühsame manuelle Tätigkeiten automatisiert und so mehr Durchsatz, aber auch Zeit für das wertschöpfungsmäßig ertragreichere Kerngeschäft des Kunden geschaffen.
3. Im Fokus steht bei der Weiterentwicklung der schon erwähnte Kundennutzen. Nehmen wir unsere „Generation X“-Produkte als Beispiel. Allein beim neuen Großschranksystem VX25 hat man über 150 Punkte gegenüber dem alten TS-8-Schranksystem optimiert. Das ist aber nur möglich, wenn man dem Kunden zuhört und dessen Bedarfe erkennt.Das steht auf unserer Agenda ganz oben. Für die Entwicklung des VX25 hat man dazu bei ausgewählten Partnern deren Arbeitsweise im Schaltschrankbau gefilmt und viele Stunden Material analysiert, um die KO-Kriterien für viele Optimierungsmaßnahmen herauszutüfteln. Insgesamt waren es sechs Jahre Entwicklungszeit, die hier eingeflossen sind. Der VX25 bietet nun einen enormen Kundennutzen, indem er in der Montage Zeit und Platz in den Kundenlagern spart.
4. Der Schrank selbst wird sich nicht so sehr ändern. Vielmehr sind es die Prozesse wie seine Herstellung, die Prozesse beim Kunden wie Bestellung, Engineering und Verarbeitung sowie auch die Logistiklösungen, die sich an die Digitalisierungswelle anpassen werden. Wir merken das sehr stark, weil unsere Kunden nun in die Automatisierung der eigenen Fertigung investieren. Bisher hatte man den Fokus der Digitalisierung bei der Schaffung von Lösungen für die Endkunden, weniger aber in der eigenen Fertigung. Das dreht sich nun um. Um für den nächsten Konjukturaufschwung gerüstet zu sein bzw. gegen Niedriglohnländer bestehen zu können, muss man nun kräftig nachrüsten und den Workflow digitalisieren und die Fertigung automatisieren.
Ein Tool, das Rittal schon heute anbietet, aber in Zukunft noch mehr Bedeutung bekommen wird, ist das Rittal Configuration System „RiCS“. Es ersetzt gleich mehrere Funktionen: den Rittal-Katalog für die Auswahl von Schrank und Zubehör, die Stücklistengenerierung, die Erstellung der CAD-Zeichnungen in 2D und 3D und dann auch noch die Generierung von Maschinendaten für die mechanische Bearbeitung der Schränke mit den Rittal-Automation-Systems-Maschinen. Und das alles mit einigen wenigen Mausklicks. Schlussendlich können die Daten sogar direkt in die Rittal-Produktion übernommen werden. Weiterer Keyfaktor aus Kundensicht: Das Tandem EPLAN und Rittal. Es liefert sowohl Lösungen für den Engineeringpart als auch für den Schaltschrank- und Maschinenpart und ermöglicht erst so die digitale Datendurchgängigkeit im Schaltschrankbau.

Wolfgang Weidinger
Geschäftsführer der Weidmüller GmbH
1. Weidmüller ist ein familiengeführtes Unternehmen mit Hauptfokus auf industrielle Verbindungstechnik. Das eröffnet uns ein breites Spektrum – wir können mit unseren Kunden diverse Lösungen im Komponenten- und Softwarebereich erarbeiten, Stichwort von der Klemme in die Cloud. Das reicht von der Beratung beim Schaltschrankbau in Bezug auf Prozessoptimierung über Klemmen und Steckverbinder bis hin zu Steuerungstechnik mit unserer webbasierten Steuerung u-control. Schlussendlich runden unsere Softwarelösungen, wie unsere Industrial-Analytics-Plattform, das Spektrum von Weidmüller ab.
2. Der größte Unterschied liegt in der Verfügbarkeit von Informationen. Alle Informationen sind für jeden über das Internet verfügbar. Auch die Zyklen für Neuerungen sind immer kürzer geworden. Märkte und deren Anforderungen verändern sich stetig. Man muss ständig technologisch up to date sein, um auf Marktveränderungen, die teilweise disruptiv sind, rasch reagieren zu können.
3. Ein Fokus liegt darauf, unsere Produkte technisch weiterzuentwickeln. Die neue Klemmenserie-A-Reihe beinhaltet beispielsweise applikationsfähige Klemmen. Es wurde bei der Weiterentwicklung darauf geachtet, dass diese Serie per Roboter bestückt werden kann. Andere Komponenten wiederum werden kommunikationsfähig (I/O-Link für Netzgeräte und Lastüberwachungen).
4. Ich denke, die Schaltschränke werden viel kleiner sein. Teile, die zurzeit im Schaltschrank sind, werden vermehrt dezentral angesiedelt sein. Der Bau eines Schaltschrankes wird viel stärker automatisiert sein – von der Elektroplanung, Erstellung eines Aufbauplanes über die automatisierte Kabelablängung bis hin zur automatisierten Bestückung einer Klemmleiste und Bedruckung der Markierer.

Mag. Ulrike Haslauer
Geschäftsführerin compact electric GmbH
5. Technischer Support und technisches Know-how werden bereits bei der Unterlagenaufbereitung immer wichtiger. Auch die rasche und flexible Bearbeitung und zur Verfügungstellung der Ressourcen ist ein zentrales Thema.
6. „Digitalisierungstsunamis“ müssen einerseits abgefangen werden und Fertigungsprozesse intern optimiert und digitalisiert werden. Dies ist eine Herausforderung, generell im KMU Bereich und speziell in der Branche der Schaltschrankbauer, da die preislich degressive Situation keinen großen Spielraum für Investitionen zulässt.
7. Ja, wenn Digitalisierung betrieben wird, bedeutet dies die Chance, sich vom Mitbewerb abzuheben und zusätzliche Dienstleistungen zu bieten.
8. Die preislich degressive Situation hat sich im Verteilerbau trotz scheinbar größerer Nachfrage nicht verändert. Das ist sehr schade, da dieses Produkt im Bereich der Losgröße 1 über eine technisch einwandfreie Qualität verfügen muss, um langfristig am Markt zu performen.