Eigene „Sinne“ für das Netz

NEW BUSINESS Innovations - NR. 07/08, JULI/AUGUST 2025
Li Peng, Corporate Senior Vice President und President of ICT Sales & Service von Huawei, auf dem diesjährigen MWC © Huawei

Nach 5G kommt 6G. Aber bis es so weit ist, verkürzt erst einmal 5.5G die Wartezeit auf die nächste Mobilfunkgeneration – und hat viele neue Möglichkeiten im Gepäck. Doch dafür muss die Basis stimmen.

5G ist nicht gleich 5G und in vielen 5G-Netzen steckt unter der Oberfläche noch 4G. Das klingt nicht nur kompliziert, sondern ist es auch. Aber der Reihe nach. Um Mobilfunkbetreibern den Umstieg von 4G bzw. LTE (Long Term Evolution) auf den nächsten Evolutionsschritt möglichst leicht zu machen, wurde 5G Non-Standalone (5G NSA) entwickelt. Dieser Standard ist sozusagen ein Hybrid zwischen 4G und 5G. Ein Teil des Netzes, das Kernnetzwerk (oder Core Network), basiert dabei noch auf dem 4G-Standard, den die Netzbetreiber bereits implementiert hatten.

Das ist, grob gesagt, der Teil, in dem die Verwaltung sowie Steuerung des Netzes und der Teilnehmer vonstattengeht. Der andere Teil, alles was sich ab den Mobilfunkmasten und bis zu den Endgeräten bzw. Nutzer:innen abspielt, wurde bei 5G Non-Standalone aufgerüstet. Dieses „Upgrade“ löste einige der Versprechen von 5G ein, aber nicht alle. Denn das Core Network, auf dem alles basiert, war schlicht nicht dazu in der Lage.

Ein eigenes Stück vom ­Netzwerk-Kuchen
Um in den vollen Genuss der vielfältigen Möglichkeiten von 5G zu kommen, unter anderem geringere Latenzen, höhere Geschwindigkeiten und gänzlich neue Möglichkeiten wie etwa Network Slicing (quasi private Netze mit garantierter Performance innerhalb des Gesamt-Mobilnetzes) braucht es auch die entsprechenden Grundlagen. Die schafft 5G Standalone (5G SA), für das es aber ein neues Kernnetzwerk braucht. Erst dann ist man komplett in die 5G-Welt eingetaucht. Die globale Einführung von 5G SA verläuft regional unterschiedlich. Während der asiatische Raum hier oft eine Vorreiterrolle einnimmt, sind europäische Betreiber zögerlicher. In Österreich hat bislang beispielsweise nur der Anbieter Drei bereits umgestellt.

Symbiose von Netz und KI
Was aufbauend auf der Basis von 5G SA alles möglich wird, zeigte etwa der Technologiekonzern Huawei auf dem vergangenen Mobile World Congress (MWC) in Barcelona. Eine besondere Rolle kommt dabei künstlicher Intelligenz zu. Beim nächsten Schritt, dem Standard 5.5G – auch unter 5G Advanced bzw. 5G A bekannt – gehen die Mobilfunknetze sozusagen eine Symbiose mit KI-Technologien ein. Dadurch ergeben sich auf der einen Seite viele Möglichkeiten, Einsparungen und Vereinfachungen auf der Verwaltungsebene, also im Betrieb der Netze, andererseits sollen so aber auch neue Anwendungsfälle und Geschäftsmodelle für die Nutzer:innen entstehen.

Li Peng, Corporate Senior Vice President und President of ICT Sales & Service von Huawei, betonte in seiner Keynote am MWC nicht nur, wie Netzbetreiber mittels künstlicher Intelligenz das volle Potenzial ihrer Netzwerke ausschöpfen können, sondern auch, dass sich die immer stärkere Verbreitung der KI-Nutzung ebenso auf die Anforderungen an die Netze auswirkt: „Wir sind auf dem Weg in eine gänzlich intelligente Welt. Intelligente Anwendungen wachsen stark und stellen neue Anforderungen an die Netze.“

Ian Fogg, Analyst von CCS Insight, ging im Gespräch mit NEW BUSINESS am Rande des MWC etwas mehr ins Detail: „Ein 5G Core ist moderner, ein mehr IT-basierender Ansatz bei der Architektur. Mit so einem sehr softwarebasierenden Modell ist es leichter, Innovationen umzusetzen.“ Zu diesen Innovationen zählt Fogg beispielsweise die deutlich leichtere und schnellere Umsetzung der bereits erwähnten Network Slices, die sich durch KI-Unterstützung in der Provisionierung etwa auch für temporäre Events leicht umsetzen ließen.

Mit diesen vom restlichen Netzwerk abgegrenzten Bereichen lässt sich beispielsweise die Servicequalität für gewisse Anwendungen garantieren. Das wird teilweise schon heute gemacht, wie Fogg berichtete: So wurde etwa beim Glastonbury Festival in Großbritannien ein eigener „Slice“ für die Bezahlterminals reserviert, um zu gewährleisten, dass Bezahlvorgänge selbst beim größten Datenaufkommen immer zuverlässig funktionieren. Mittels KI soll sich der Aufwand dafür drastisch reduzieren lassen.

Eine weitere Anwendung, die der Analyst nannte, ist IoT. Dafür ist 5G RedCap (kurz für: Reduced Capability) vorgesehen. Der Fokus liegt dabei nicht auf hohen Datenraten oder ultrakurzen Latenzzeiten, sondern vor allem auf möglichst langen Batterielaufzeiten. Er beerbt damit Standards wie Narrowband-IoT (NB-IoT), die heute für solche Zwecke eingesetzt werden, ist aber zukunftssicherer. Denn mit der weiteren Verbreitung von 5G Standalone werden irgendwann auch die dann alten 4G-Infrastrukturen abgeschaltet, so wie es jetzt bei 3G der Fall ist. Es ist auf Dauer nicht wirtschaftlich, diese Strukturen parallel zu betreiben. Außerdem zeigt sich unter anderem beim 2G-Standard die potenzielle Gefahr überholter Technologien, die aus verschiedenen Gründen „am Leben erhalten“ werden müssen – die bei 2G eingesetzten Verschlüsselungsverfahren sind längst geknackt und unsicher. 

6G frühestens ab 2030
Der nächste Schritt wird dann 6G sein. Laut Ian Fogg ist damit „in freier Wildbahn“ aber allerfrühestens ab dem Jahr 2030 zu rechnen. Was der nächste Standard im Detail alles an Innovationen enthalten und ermöglichen wird, ist zum derzeitigen Zeitpunkt mehr oder weniger Spekulation. Die Arbeiten daran laufen. Es ist aber davon auszugehen oder zumindest zu hoffen, dass der Umstieg von der moderneren 5G-SA-Architektur durch seine flexiblere, softwarebasierende Natur mit geringerem Aufwand möglich sein wird als bei früheren Entwicklungsschritten. 

Fogg stellte in Aussicht, dass dann das Mobilfunknetz möglicherweise eigene „Sinne“ bekommt und seine Umgebung wahrnehmen können wird, um sich, unterstützt von künstlicher Intelligenz, beispielsweise selbst an die unterschiedlichen Umweltbedingungen im Wechsel der Jahreszeiten anzupassen, an Muster im Verkehrsaufkommen oder auch an Bewegungsmuster von Personengruppen bzw. einzelnen Personen. Besonders in den höheren Frequenzbereichen, die man für schnellere Datenübertragungen braucht, macht es etwa einen Unterschied, ob ein Baum gerade dicht belaubt ist, er seine Blätter verloren hat oder ob Schnee liegt. Das 6G-Netz der Zukunft könnte das selbst erkennen und sich dementsprechend optimieren, um den Nutzer:innen immer die bestmögliche Performance zu bieten. (RNF)