Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen

NEW BUSINESS Guides - IT- & TELEKOMMUNIKATIONS-GUIDE 2018
Im Gegensatz zu Produkten aus dem Consumer-Bereich stoßen KI-Lösungen für die Industrie auf Misstrauen und Stolpersteine. © Pixabay

Auf der Suche nach den passenden Anwendungsfällen

Die einen geraten bei dem Thema ins Schwärmen, die anderen – darunter ­zahlreiche wohlbekannte IT-Persönlichkeiten – warnen vor der wachsenden ­Gefahr. Die Rede ist von künstlicher Intelligenz (KI). In den letzten Jahren hat sich die Technologie dahinter rasant weiterentwickelt, im vergangenen Jahr waren KI und maschinelles Lernen die bestimmenden Themen in Diskussionen und ­Projekten. Dieser Trend dürfte sich auch 2018 fortsetzen.

Große Konzerne, Start-ups und Kooperationen investieren gern in künstliche Intelligenz (KI). So flossen 2016 zwischen 26 und 39 Milliarden Dollar in die Forschung und Entwicklung kognitiver Systeme und Roboter. KI kommt an und soll helfen, Unternehmen effizienter und wettbewerbsfähiger zu machen. Doch hier trennt sich die Spreu vom Weizen – während Consumer-Systeme boomen und KI hier auf immer mehr Geräten Einzug hält, stottert der KI-Motor in Wirtschaft und Industrie etwas.
So ist in der jüngeren Berichterstattung zur KI von IBM die Lösung Watson beispielsweise in Misskredit geraten, da einige große Projekte bisher nicht die gewünschten Ergebnisse erbrachten. Ein oft geäußerter Vorwurf dabei lautet, dass durch die offensive Medienkampagne von IBM zu Watson Erwartungen geweckt wurden, die die Technologie nicht beziehungsweise noch nicht erfüllen kann. „Dieser Vorwurf zeigt jedoch auch ein großes Missverständnis in der öffentlichen wie geschäftlichen Wahrnehmung, in der Watson immer wieder als die den Menschen verstehende ‚Maschine‘ personifiziert wird“, bemerkt Ursula Flade-Ruf, Geschäftsführerin der Management Informations Partner GmbH (MIP). Doch was ist denn Watson eigentlich genau?
„Diese Reduktion auf Watson als einzelne Maschine hat in der Vergangenheit sicher für die ein oder andere Verwirrung gesorgt“, so Markus Ruf, Geschäftsführer und Big-Data-Experte bei der MIP. „Er ist aber weder ein einzelner Superrechner noch eine irgendwie geartete individuelle KI. Vielmehr ist Watson eine Plattform verschiedenster Services und Verfahren, die auf derselben Technologie basieren. Es handelt sich bei Watson nicht um ein Produkt, sondern um viele Einzelprodukte. Auch sind diese meistens auf mehreren Rechnern installiert – von einer Maschine oder einem Watson kann also keine Rede sein.“

KI für die Industrie
Zudem wird Watson gern seinen KI-Brüdern und -Schwestern aus dem B2C-Bereich gegenübergestellt. „Ungerechterweise“, wie Flade-Ruf meint, „denn hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Die mit Watson verbundenen Services und Entwicklertools von IBM sind ausschließlich auf den B2B-Sektor ausgerichtet.“ Alexa, Siri, Cortana, Google Home und Co hätten es hingegen mit den Endkunden im B2C erheblich einfacher, rasche Erfolge vorzuweisen, da sie jeden Tag von Millionen Menschen genutzt, mit Informationen gefüttert und dadurch stetig trainiert werden.
Dass diese Geräte schnell eine große Menge an Informationen zu Personen und ihren Vorlieben ansammeln und dann auch anwenden könnten, sei leicht nachvollziehbar. Allerdings geschehe dies durch „ein ständiges Mithören“, „was eigentlich jeden Nutzer aufhorchen und vorsichtiger werden lassen sollte“. Wem die Daten am Ende gehören und wo sie genau gespeichert würden, sei meist nicht eindeutig geklärt oder stehe gut versteckt im Kleingedruckten.
„Solch ein Vorgehen unterscheidet sich erheblich vom projektbezogenen, individuellen Datentraining mit Watson“, meint Flade-Ruf. „Hier hat IBM zudem eine Art Code of Conduct für Cloud-Services in Verbindung mit KI-Daten verfasst, sodass die innerhalb eines Projekts gewonnenen Informationen immer Eigentum der jeweiligen Servicenutzer bleiben – und bisher hält sich IBM auch daran.“

Lernende Lösungen für spezielle Probleme
Künstliche Intelligenz ist kein neues Phänomen. Schon seit Jahrzehnten taucht der Begriff in Verbindung mit Regressionsanalysen, Clustering oder Multivariable-Verfahren auf. Dem autonomen Lernen wird dabei eine besonders große gesellschaftliche sowie wirtschaftliche Bedeutung zugemessen, was unter anderem das nahezu exponentielle Wachstum von Fundraising-Projekten rund um Start-ups im Bereich Deep oder Machine Learning erklärt.
„Nach den jüngsten Kritiken zu urteilen, haben aber scheinbar viele Unternehmen den Aufwand, der mit einem Watson-Projekt auf ein Unternehmen zukommt, unterschätzt. So hat ein Beispiel eines Kunden aus der Bekleidungsbranche gezeigt, wie viel Arbeit etwa ein Training von Watsons Visual Recognition kosten kann“, erklärt Ruf. „Für die visuelle Unterscheidung von Kleidungsstücken wurden rund 30.000 Bilder benötigt, bis der Service autonom funktionierte.“ Auch in der Medizin oder bei Versicherungsfällen muss eine riesige Menge an Daten herangezogen werden, um eine verlässliche statistische Auswertung zu ermöglichen. „Die Intelligenz der Programme und Services wird natürlich stetig weiterentwickelt“, ergänzt der Experte. „Die Wissensdatenbanken, die sich dahinter verbergen, müssen allerdings den ­Watson-Systemen in den einzelnen Projekten immer wieder neu beigebracht werden.“
Um solche Mengen an Daten bereitstellen und die zur Verfügung stehenden KI-Services voll ausnutzen zu können, seien Kooperationen unerlässlich. „Viele Unternehmen sind auf bestimmte Bereiche wie etwa visuelle Wahrnehmung und Verarbeitung, Robotik, Sprachverarbeitung und -analyse oder Datenauswertung spezialisiert und müssen deshalb auch in komplexe Watson-Projekte miteinbezogen werden.“ Unter anderem würden Apple, Amazon, die Google-Tochter Deep Mind, Facebook, IBM und Microsoft an gemeinsamen Projekten rund um das Thema künstliche Intelligenz arbeiten. „IBM hat zudem die Plattform PowerAI installiert, auf der von verschiedenen Herstellern Frameworks zu Deep Learning und unterstützende Datenbanken angeboten werden“, erklärt Flade-Ruf. „Das Unternehmen präsentiert sich in diesem Zusammenhang auch sehr offen: Es gibt einige Open-Source-Projekte oder freie Services aus der Bluemix-Cloud.“ Am Ende wolle IBM möglichst viele Experten unter seinem technologischen Dach vereinen, um die Watson-Funktionalitäten künftig noch erheblich zu ­erweitern.

Anwendungsfall gesucht
Eine Schwierigkeit im Zusammenhang mit Watson-Projekten sei das Fehlen von allgemeingültigen weltweiten Anwendungsfällen, wie sie im B2C-Bereich mit Alexa, Siri oder Cortana vorhanden sind. „Watson-Projekte sind dagegen äußerst industrie- und unternehmensspezifisch“, erklärt Flade-Ruf. „Vieles passiert hier hinter verschlossenen Türen, da sich niemand zu früh von Mitkonkurrenten in die KI-Karten schauen lassen möchte.“ Ein großer Teil stamme dabei aus dem Bereich Internet of Things (IoT) im industriellen Sektor. Big Data in Form von Sensor- und Maschinen­daten werde dort im Predictive-Maintenance-Umfeld und zur Qualitätssicherung eingesetzt. IBM kooperiere dafür beispielsweise mit Unternehmen wie Bosch, BMW, Citroën, Schaeffler oder auch Renault.
Während IBM also versucht, Watson wieder mehr reale Erfolge zu bescheren, sind andere in Sachen KI ebenfalls höchst aktiv. So präsentierte QNAP Systems im Rahmen der CES 2018 die jüngsten Innovationen aus der KI, etwa ein KI-Entwicklerpaket zusammen mit GPU-beschleunigtem NAS. Mit QuAI können Nutzer KI-Modelle, die auf QNAP-NAS-Produkten laufen, schnell erstellen, trainieren und optimieren. QuAI demonstriert die Lernfähigkeiten einer Maschine und liefert Ergebnisse für spezifische modellbasierte Dienste, etwa die Bildklassifikation. Der TS-1277 soll als erstes Business-NAS auf Ryzen-Basis mit einer High-End-Grafikkarte laufen, welche die erforderliche Rechenleistung für datenintensive maschinelle Lernanwendungen bereitstellt.
„QNAP möchte einer der ersten Akteure im Bereich der künstlichen Intelligenz sein. Wir sind sehr erfreut, unsere NAS-Innovationen für die maschinelle KI einzuführen“, sagt Meiji Chang, General Manager von QNAP. „Während KI große Datenmengen, große Rechenleistung in der Cloud und leistungsfähige Algorithmen beinhaltet, sind QNAP-Lösungen in der Lage, diese Elemente zusammen zu integrieren.“

Intelligente Kraftfahrzeuge
Ebenfalls auf der CES 2018 präsentierte ZF indes die nächsten Schritte auf dem Weg zum autonomen Fahren. In einem Versuchsfahrzeug haben Ingenieure der ZF-Vorentwicklung zahlreiche Fahrfunktionen realisiert, die vollautomatisiertes Fahren gemäß Level vier möglich machen. Damit verdeutliche ZF seine umfangreichen Kompetenzen als Systemarchitekt für das autonome Fahren, betonte ein Sprecher des Konzerns.
Der Technologiekonzern machte sich dabei laut eigenen Angaben sein enges Kompetenznetzwerk zunutze – insbesondere bei der Ermittlung und Verarbeitung von Umfelddaten. Das Vorentwicklungsprojekt demonstrierte zudem die Leistungsfähigkeit und Praxistauglichkeit des erst vor einem Jahr von ZF und NVIDIA vorgestellten Supercomputers ZF ProAI. Dieser agierte als zentrale Steuereinheit im Versuchsträger. Damit beschreitet ZF einen modularen Weg zur Entwicklung automatisierter Fahrfunktionen. Ziel sei eine Systemarchitektur, die sich auf beliebige Fahrzeuge übertragen und je nach Einsatzzweck, verfügbarer Hardware-Ausstattung und gewünschtem Automatisierungslevel zuschneiden lässt.
„Das weite Feld des automatisierten Fahrens ist die Summe vieler einzelner Fahrfunktionen, die ein Auto ohne menschlichen Eingriff abrufen können muss – und zwar ausfallsicher und auch unter verschiedensten Wetter-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen“, erläutert Torsten Gollewski, Leiter Vorentwicklung der ZF Friedrichshafen AG.
Im Rahmen des Versuchsfahrzeugs baute ZF eine komplette modulare Entwicklungsumgebung inklusive Funktionsarchitektur mit künstlicher Intelligenz auf. „Beispielhaft realisiert haben wir hier eine Konfiguration für vollautomatisierte, also Level-4-Fahrfunktionen. Diese Konfiguration lässt sich modularisiert über die ZF-Domänen ‚see-think-act‘ auf den jeweiligen Anwendungsfall applizieren. Sie verhilft den Fahrzeugen zur notwendigen Seh- und Denkfähigkeit, etwa für innerstädtischen Verkehr“, so Gollewski. Doch auch andere Automatisierungsstufen lassen sich dank dieser flexiblen ZF-Architektur in unterschiedlichsten Fahrzeugen umsetzen. Gleichzeitig gibt sie Aufschluss darüber, welche Hardware-Minimalkonfiguration für welchen Level unabdingbar ist.

Städtische Szenarien fordern KI
In den vergangenen Monaten „trainierten“ die ZF-Ingenieure dem Fahrzeug unterschiedliche Fahrfunktionen an. Dabei standen besonders urbane Situationen im Mittelpunkt, wie etwa die Interaktion mit Fußgängern und Fußgängergruppen vor Zebrastreifen, die Kollisionsabschätzung, das Verhalten vor Ampeln und in Kreisverkehren. „Im Gegensatz zu einer Autobahn- oder Landstraßenfahrt ist es in städtischen Szenarien deutlich aufwendiger, ein gesichertes Verständnis der aktuellen Verkehrssituation herzustellen, welches die Basis für angemessene Aktionen eines computergesteuerten Fahrzeugs bietet.“

KI-unterstützte Produktentwicklung
LG Electronics (LG) entwickelt eine proprietäre, lernbasierte Technologie der künstlichen Intelligenz und führte dazu unlängst eigene KI-Entwicklungswerkzeuge in allen LG-Geschäftsbereichen ein. So soll die Markteinführung neuer Produkte, die mit der neuesten Technologie ausgestattet sind, beschleunigt werden. DeepThinQ 1.0 wurde im vergangenen Jahr mit der Gründung des LG Artificial Intelligence Lab in Korea entwickelt, um die Forschung auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz zu beschleunigen. Die Plattform ermögliche die einfache Integration von KI in eine breitere Produktpalette, sodass LG-Produktentwickler sogenannte tiefgehende Technologien auf künftige Produkte anwenden können. Im Einklang mit der offenen Strategie würden LG-Produkte, die mit DeepThinQ entwickelt wurden – von mobilen Geräten bis hin zu Haushaltsgeräten –, deutlich erweiterte Benutzererfahrungen bieten, indem sie eine Vielzahl von Technologien und Lösungen mit ihrer hochmodernen KI-Plattform verbinden.
DeepThinQ 1.0 verfügt über KI-Funktionen wie Sprach-, (Bewegt-)Bild, Raum- und Körpererkennung, die auf der Grundlage von Daten entwickelt wurden, die aus den Nutzungsgewohnheiten von Anwendern im Laufe der Jahre gewonnen wurden. DeepThinQ 1.0 wurde von Grund auf mit Blick auf Offenheit und Diversifikation entwickelt und unterstützt eine Vielzahl von Betriebssystemen wie Android, Linux und webOS.
Mit LG ThinQ bekomme „lebenslanges Lernen“ eine ganz neue Bedeutung. Produkte, die auf der DeepThinQ-Plattform entwickelt wurden, würden sich mithilfe von Cloud-Servern weiterbilden, um mit der Zeit intelligenter zu werden. Diese Lernfunktion sei das Herzstück von DeepThinQ und ermögliche es den KI-Produkten von LG, nicht nur ihre externen Umgebungen, sondern auch die Verhaltensmuster ihrer Kunden zu verstehen.
So lerne die ThinQ-Klimaanlage beispielsweise das Wohnverhalten der Kunden im Laufe der Zeit und kühlt den Raum automatisch auf die vom Nutzer bevorzugte Temperatur ab. Im Auto lerne die Kabinenüberwachungstechnologie von LG die Mimik und Gestik des Fahrers und erkenne den Moment, in dem der Fahrer schläfrig werde. Schließlich werde ThinQ in der Lage sein, die Musik, die Beleuchtung oder das Klima im Auto automatisch anzupassen, indem es die ­Passagiere, die das Auto am häufigsten benutzen, kennenlernt.
„DeepThinQ ist die Verkörperung unserer offenen Philosophie, unseren Kunden die leistungs­fähigsten KI-Lösungen über eine Strategie der offenen Plattform, der offenen Partnerschaft und der offenen Konnektivität anzubieten“, unterstreicht IP Park, Chief Technology Officer bei LG Electronics.  (TM)

www.mip.de
www.ibm.com
www.qnap.de
www.lg.com
www.zf.co