Sanjay Kaul (li.), Managing Director von GIFT City, und seine Exzellenz, der indische Botschafter Shambhu S. Kumaran (re.) © RNF
Nach einer langen „Morgendämmerung“ sieht Indiens Botschafter Shambhu S. Kumaran im Interview die Sonne über der Partnerschaft zwischen Indien und Europa aufgehen.
Die Gujarat International Finance Tec-City (GIFT City) in Indien ist zugleich Smart City und ein International Financial Services Centre (IFSC). Sie liegt strategisch günstig am Ufer des Sabarmati-Flusses, zwischen dem Geschäftszentrum Ahmedabad und der politischen Hauptstadt Gandhinagar. Die Idee dahinter ist der Aufbau eines globalen Finanzzentrums, um Offshore-Geschäfte nach Indien zu verlagern. GIFT City soll als „Gateway nach Indien“ dienen und internationalen Unternehmen einen Zuständigkeitsbereich bieten, der unabhängig vom indischen Festland geregelt wird. Umfassende Anreize, wie Steuerbefreiungen, fortschrittliche Infrastruktur und eine hohe Lebensqualität, machen das für Unternehmen attraktiv.
NEW BUSINESS nutzte die Gelegenheit, um am Rande des Alpbacher Finanzsymposiums mit seiner Exzellenz, dem indischen Botschafter Shambhu S. Kumaran, und Sanjay Kaul, Managing Director von GIFT City, darüber zu sprechen, welche Vorteile dieser Standort der österreichischen Wirtschaft bieten kann und wie GIFT City Indiens aufstrebende Partnerschaft mit Europa unterstützt.
Herr Botschafter, wie beurteilen Sie derzeit die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen heimischen und indischen Unternehmen?
Botschafter Shambhu S. Kumaran: Wir sehen großes Interesse. Ich habe das Gefühl, wir befinden uns an einem Wendepunkt für österreichische Unternehmen: Indien als einen ihrer großen Produktionsstandorte, als einen ihrer großen Partner für den Aufbau von Talentnetzwerken, als einen ihrer großen Märkte für ihre Exporte zu betrachten. „Win-win“ ist ein überstrapaziertes Wort, aber ich würde sagen, das ist eine sich gegenseitig bereichernde Partnerschaft.
Herr Kaul, könnten Sie uns einen Überblick geben? Was ist GIFT City, und welchem Zweck dient sie?
Sanjay Kaul: GIFT City ist eine Abkürzung für Gujarat International Finance Tec-City. Es ist eine „Greenfield City“. Vereinfacht gesagt, war die Absicht, Offshore-Geschäfte nach Indien zu holen. GIFT City erstreckt sich über rund 400 Hektar. Wir haben eine Sonderwirtschaftszone, in der sich das International Financial Services Centre befindet. Technisch gesehen befindet sich GIFT City für Finanzzwecke nicht in Indien. Daher gelten die einschlägigen Vorschriften dort nicht. Wir haben eine einheitliche Regulierungsbehörde, speziell für GIFT City.
Das Bankwesen in Indien wird grundsätzlich von der Reserve Bank of India reguliert, das Versicherungsgeschäft von der Insurance Regulatory Authority, Börsen werden vom Securities and Exchange Board of India reguliert. Bei all diesen Regulierungen liegen die Befugnisse innerhalb der GIFT City bei dieser eigenen Regulierungsbehörde. In erster Linie finden in GIFT City Finanz- und Fintech-Geschäfte statt – Bankwesen, Versicherungen, Aktien, Aktienmärkte, Fonds, Vermögensverwalter, aber auch Schiffsleasing oder Flugzeugleasing.
Was sind die Vorteile? Warum sollten diese Geschäfte in GIFT City stattfinden?
Sanjay Kaul: Zunächst einmal müssen Sie eine Bank in GIFT City haben. Sehen Sie sich Dubai oder Finanzzentren in Europa an. Eine Zweigstelle in GIFT City ist so gut wie jede Zweigstelle, die Sie weltweit haben. Sie ist technisch gesehen nicht in Indien. Sie können von dieser Zweigstelle aus Transaktionen auf der ganzen Welt durchführen.
Reden wir nun über Österreich. Zum Beispiel haben wir eine große Anzahl von österreichischen Industrieunternehmen, die in Indien entstehen oder die bereits etabliert sind. Wenn diese Industrien nun Transaktionen durchführen wollen, hängt die Muttergesellschaft, die Holdinggesellschaft, offensichtlich von den österreichischen Banken ab, weil dort die Unternehmenstransaktionen stattfinden. Wir sagen: Kommen Sie und eröffnen Sie eine Zweigstelle hier in GIFT City. Das ist so, als hätten Sie eine Zweigstelle in Österreich. Alle Transaktionen sind die gleichen, als würden Sie in Österreich sitzen und eine Transaktion durchführen. Außerdem bieten wir attraktive Steuervergünstigungen, etwa, was Einkommenssteuer betrifft, oder Konzessionsvergünstigungen bei der Körperschaftssteuer. Sie unterliegen für das Bankwesen nicht indischen Gesetzen, sondern nur internationalen Gesetzen.
Wo liegt GIFT City, und wie viele Menschen leben aktuell dort?
Sanjay Kaul: GIFT City liegt geografisch gesehen in Gujarat. Die Hauptstadt von Gujarat ist Gandhinagar. Ahmedabad, eine Handelsmetropole, liegt etwa 15 Kilometer von Gujarat entfernt. GIFT City liegt in der Mitte dieser beiden Städte entlang des Flusses Sabarmati. Zu diesem Zeitpunkt arbeiten dort etwa 25.000 Menschen. Wir haben 1.100 Wohnungen, die bewohnt sind. 7.000 sollen gebaut werden.
GIFT City ist nicht nur eine „Greenfield City“, also eine Neugründung auf der grünen Wiese, sondern auch eine lebenswerte und nachhaltige „Green City“. Wann haben Planung und Bau begonnen?
Sanjay Kaul: Die Entwicklung startete 2010, die ersten beiden Gebäude kamen 2014 bzw. 2015. Die Gesamtplanung umfasst fast sechs Millionen Quadratmeter, etwa 70 Gebäude. Aktuell sind bereits rund zwei Millionen Quadratmeter gebaut. Wir nennen es eine Smart City, weil wir den Luxus hatten, eine Stadt von Grund auf neu zu bauen, und alle Systeme, die eine Stadt betreiben und führen, vollständig technologiebasiert sind.
Die komplette Klimatisierung ist zentral für die gesamte Stadt geregelt. In einem gemeinsamen Versorgungstunnel befinden sich die Klimaanlagen-, Abwasser- und Wasserleitungen. Das erhöht die Effizienz bei der Erbringung von Dienstleistungen und senkt die Betriebskosten für Büros auf etwa 25 bis 27 Prozent. Wir haben Schulen, wir haben Hotels, ein Krankenhaus wird voraussichtlich Anfang nächsten Jahres eröffnet. Ein Einkaufszentrum befindet sich im Bau. Wir planen auch einen Golfplatz bzw. eine Driving Range. Wir haben eine Sportarena. Ein Konzept, das wir umgesetzt haben, ist auch „Walk to Work“. Man muss nur maximal zehn bis 15 Minuten zur Arbeit gehen.
Wie lange sprechen Sie schon mit österreichischen Unternehmen über GIFT City?
Botschafter Shambhu S. Kumaran: Dies ist das erste Mal, dass wir es „richtig“ präsentieren. Das Alpbacher Finanzsymposium bringt einen sehr großen Querschnitt österreichischer Unternehmen – Finanzunternehmen und auch anderer Unternehmen – zusammen, deswegen ist es ein guter Ort, um das Angebot von GIFT City zu präsentieren. Und über GIFT City auch den breiteren indischen Markt als den vielversprechendsten globalen Markt in der heutigen Welt zu zeigen, der schnelles Wachstum, junge Demografie, demokratische Regierungsführung, starke politische Führung und sehr vertrauensvolle Beziehungen zu Partnern aus der ganzen Welt bietet. Wir sind ein Land, das gute Beziehungen zu allen hat. Wir denken, das ist eine gute Sache in der heutigen Welt.
Gute Beziehungen sind immer eine gute Sache. Und vor allem Beziehungen, auf die man vertrauen kann.
Botschafter Shambhu S. Kumaran: Absolut. Wir haben all diese Vorzüge. Und österreichische Unternehmen sehen aktiver in Richtung Indien. GIFT City ist eines der vielversprechendsten Gateways nach Indien. Früher, wenn man von einem Gateway gesprochen hat, war es meistens nur ein Gebäude. Heute geht es mehr um digitale Technologien, organisatorische Effizienz, all das, was Herr Kaul erwähnt hat. Es geht darum, ein förderliches und einfaches Arbeitsumfeld bereitzustellen. Und am wichtigsten ist es, die regulatorische Belastung für Unternehmen so weit wie möglich zu reduzieren. Damit sie schnell starten, schnell vorankommen und expandieren können. Und mit dem Rest der Welt vernetzt sein können. Und GIFT City bietet ihnen so einen Ort.
Haben Sie das Gefühl, dass angesichts der geopolitischen Veränderungen die Chancen für eine stärkere indisch-europäische Zusammenarbeit steigen?
Botschafter Shambhu S. Kumaran: 200 Prozent. Ich denke, die Sonne beginnt über der Partnerschaft zwischen Indien und Europa aufzugehen. Wir hatten eine sehr lange Zeit der Morgendämmerung, in der alle darüber sprachen, dass der Sonnenaufgang kommen würde. Aber heute stehen wir aufgrund mehrerer Gründe an diesem Punkt. Einer ist Indiens verblüffend starkes Wachstum. Zweitens sucht Europa nach Diversifizierung und nach einer, sagen wir, Absicherung gegen geopolitische Entwicklungen. Und drittens treibt das allgemeine Verständnis für eine zuverlässigere Lieferkette, vertrauenswürdige Partner, demokratische Partner meiner Meinung nach eine Neuausrichtung der Investitionsentscheidungen voran. Deshalb streben Indien und Europa den Aufbau dieser Partnerschaft an.
Wir freuen uns auf das Freihandelsabkommen zwischen Indien und der Europäischen Union, das hoffentlich später in diesem Jahr oder Anfang nächsten Jahres unterzeichnet wird. Es würde europäischen Unternehmen große Chancen eröffnen, um in den indischen Markt einzutreten, und indischen Unternehmen, um Europa als einen noch attraktiveren Markt zu betrachten. Ich denke, die Zeichen sind sehr vielversprechend, und wir arbeiten alle in diese Richtung. (RNF)
https://www.giftgujarat.in/