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Im Wettlauf mit Fernost

NEW BUSINESS Export - NB EXPORT 1/2017
China will bis 2020 den Aufstieg in die Top Ten der weltweit am stärksten automatisierten Nationen schaffen. © vilmosvarga/Freepik

Mit dem Masterplan „Made in China 2025“ und Investitionen in Milliardenhöhe geht Beijing industriepolitisch in die Offensive ...

... Spätestens 2049 will China zu den führenden ­Industriemächten der Welt gehören. Eine Analyse des Mercator Instituts für China-Studien zeigt, dass die ehrgeizige Strategie erste Früchte trägt.

2015 wurde „Made in China 2025“ von der chinesischen Führung unter Präsident Xi Jinping beschlossen. Bis 2025 soll der Anteil chinesischer Hersteller von fortschrittlicher Produktionstechnik und wichtigen Werkstoffen auf dem einheimischen Markt auf 70 Prozent ansteigen. China will nicht mehr nur die „Werkbank der Welt“ sein, sondern strebt mit seiner breit angelegten Industriestrategie die Marktführerschaft in Bereichen an, auf denen heute das Wachstum vieler Industrieländer beruht. Informationstechnologie, computergesteuerte Maschinen, Roboter, energiesparende Fahrzeuge und medizinische Geräte ­gehören ebenso dazu wie Hightech-Ausrüstung für Raumfahrt, See- und Schienenverkehr.

Sprung ins Zeitalter der ­intelligenten Fabrik
China will seine Industrie direkt in das Zeitalter des Smart Manufacturing und der vernetzten Fabrik versetzen. Vorbilder sind das deutsche Konzept der Industrie 4.0 und das in den USA geprägte Industrial Internet. Beim Blick auf den geringen Grad der Automatisierung in China mag dies unrealistisch erscheinen. Denn im Schnitt kommen bislang auf 10.000 Arbeiter nur 19 Industrieroboter. In Deutschland sind dies nach Angaben des Weltroboterverbands (IFR) 301 Roboter, in Südkorea sogar 531.
Doch China steckt enorme finanzielle Ressourcen in seine ehrgeizige Vision. Der kürzlich begründete Investitionsfonds für intelligente Fertigung ist mit 20 Milliarden Yuan (2,6 Milliarden Euro) ausgestattet. Der Investitionsfonds für die Halbleiterindustrie verfügt über 139 Milliarden Yuan (19 Milliarden Euro). Zum Vergleich: Ungefähr 200 Millionen Euro hat die deutsche Bundesregierung bislang in Forschung zur Industrie 4.0 investiert.
China nimmt nicht nur Geld in die Hand: Aufstrebende einheimische Hightech-Produzenten werden durch staatliche Eingriffe vor ausländischer Konkurrenz geschützt. Dass dies funktionieren kann, zeigen die sozialen Medien. Facebook, Twitter und Google sind in China gesperrt, deshalb haben sich chinesische Pendants wie Baidu, Sina Weibo und Wechat bereits fest etabliert. Was Hightech-Bereiche betrifft, ist China noch nicht so weit: Bei im Land gefertigten Industrierobotern machen importierte Komponenten drei Viertel der Kosten aus.

Wettbewerb beflügelt Investitionen
Chinesische Investoren sind unter Druck, die eigenen Technologien, Marken und strategischen Vermögenswerte schnellstmöglich weiterzuentwickeln, weltweit zu diversifizieren und angesichts des verlangsamten Wachstums im eigenen Land neue Märkte zu erschließen. Dies spiegelt sich laut einer Studie von MERICS und der Rhodium Group auch im Investitionsverhalten wider: In Europa zeigten chinesische Investoren im vergangenen Jahr besonderes Interesse an Hochtechnologie, insbesondere im Fertigungsbereich, an Energie- und Versorgungsunternehmen. Auch in die Bereiche Transport und Infrastruktur, Internet- und Kommunikationstechnologie sowie Unterhaltung flossen verstärkt Investitionen. Zu den größten Investitionen zählten die Übernahmen des finnischen Online-Gaming-Anbieters Supercell (6,7 Mrd. Euro), des deutschen Roboterherstellers Kuka durch das chinesische Privatunternehmen Midea (4,4 Mrd. Euro), der irischen Flugzeug-Leasingfirma Avolon durch die Unternehmensgruppe HNA aus Hainan (2,3 Mrd. Euro), des nieder­sächsischen Müllverbrennungsspezialisten EEW Energy durch die Holding Beijing Enterprises (1,4 Mrd. Euro), der britischen Online-Reiseplattform Skyscanner durch Ctrip (1,6 Mrd. Euro), die Investition der Shandong Ruyi ­Technology in die französische Modefirma SMCP Group (1,3 Mrd. Euro) sowie die Übernahme der britischen ­Odeon & UCI Cinema Group durch Wanda AMC (1,1 Mrd. Euro). Investitionen in Immobilien sanken dagegen deutlich im Vergleich zum Vorjahr. Auffällig war zudem, dass 2016 deutlich mehr Privatunternehmen in Europa investierten (74 gegenüber 30 Prozent im Jahr 2015).
Nach einer Phase von Großinvestitionen in Südeuropa konzentrierten sich chinesische Unternehmen 2016 wieder stärker auf die großen europäischen Volkswirtschaften, insbesondere Deutschland und Großbritannien. Mehr als zwei Drittel aller Investitionen flossen in diese beiden Länder. Deutschland war mit über elf Milliarden Euro Zielland Nummer eins innerhalb Europas, mehr als 31 Prozent aller chinesischen Investitionen in Europa wurden hierzulande getätigt. Großbritannien blieb auch nach der Brexit-Entscheidung auf Platz zwei.

Europäische Investitionen in China weiter rückläufig
Im Gegensatz zu den wachsenden Investitionen chinesischer Unternehmen in Europa sind europäische Unternehmen in China zurückhaltender. 2016 sanken euro­päische Investitionen in China das vierte Jahr in Folge auf circa acht Milliarden Euro. Diese Entwicklung hat mehrere Ursachen: das sinkende Wachstum in China, rückläu­fige Gewinnmargen und weiterhin bestehende Hürden für ausländische Investoren.

Kritik an ­chinesischen ­Investitionen
Die Zunahme chinesischer Übernahmen von Hochtechnologie­unternehmen, insbesondere im Bereich Produktion und Maschinenbau, löst in Europa auch Sorge aus: Die Beteiligung des chinesischen Staats an diesen Deals wird ebenso debattiert wie die langfristigen Risiken, die mit einem Ausverkauf von Kerntechnologien an China einhergehen könnten. Eine Reihe von kontroversen Aufkäufen und Übernahmeversuchen in Deutschland stand dabei im Zentrum.
Insbesondere die Übernahme von Kuka durch Midea befeuerte Befürchtungen über einen Ausverkauf deutscher Technologien. Das chinesische Angebot für den Chiphersteller Aixtron wiederum rückte die Fallstricke einer staatlichen chinesischen Beteiligung an solchen Übernahmen ins Zentrum. Die Bundesregierung setzte 2016 deutliche Zeichen, indem sie gleiche Bedingungen für deutsche Unternehmen in China einforderte, chinesische Investitionen stärker überprüfte, wenn sie eine Bedrohung nationaler Sicherheitsinteressen befürchtete, und die zunächst erteilte Zustimmung zur Übernahme von Aixtron wieder rückgängig machte. Letztlich wurde die Übernahme gestoppt, weil die US-Regierung den Verkauf des amerikanischen Anteils am Unternehmen ­blockiert hatte.

Ausblick 2017
Die Autoren der Studie, Thilo Hanemann und Mikko Huotari, warnen davor, die Wachstumszahlen chinesischer Investitionen im letzten Jahr auch in die Zukunft zu projizieren. Stattdessen könnte der chinesische Expansionskurs schon bald deutlich an Fahrt verlieren. Zum einen wegen der Versuche der chinesischen Regierung, den Kapitalabfluss ins Ausland stärker zu kontrollieren, zum anderen wegen der wachsenden Befürchtungen europäischer Länder vor einem Ausverkauf von Kerntechnologien an China. Die Autoren argumentieren, die Zuwächse bei den chinesischen Auslandsinvestitionen seien 2016 so dramatisch gewesen, dass die chinesische Führung nun auf die Bremse tritt und das Tempo des Kapitalabflusses zu drosseln versucht. Angesichts des verlangsamten Wirtschaftswachstums im Inland, von Risiken im Finanzsystem und des Abwertungsdrucks auf die chinesische Währung hat Beijing bereits damit begonnen, Auslandsinvestitionen stärker zu überprüfen und gegen unerwünschte Transaktionen vorzugehen. Wie Europa künftig auf Investitionen aus China reagiert, hängt aus Sicht der Autoren in erster Linie von Chinas Reformfortschritten ab. Nur wenn China die Rolle des freien Wettbewerbs stärke und gleiche Bedingungen für ausländische Unternehmen schaffe, werde man in Europa chinesische Investitionen als für alle Seiten gewinnbringend ansehen können. Ein Durchbruch in den Verhandlungen über ein bilaterales Handelsabkommen könnte ebenfalls ein wichtiges Signal senden. Wenn China dagegen weiterhin mit fehlendem Reformwillen nach innen und außen enttäusche, sei eine wachsende Abwehrhaltung gegenüber chinesischen Investitionen in Europa unvermeidbar.

Industriestaaten brauchen kluge Antworten
Entscheider in Politik und Wirtschaft sollten sich nicht von kurzfristigen Geschäftschancen täuschen lassen, die „Made in China 2025“ für ausländische Hightech-Hersteller bereithalte, heißt es in der Studie. Am Ende gehe es der chinesischen Führung darum, ausländische durch chinesische Technologien zu ersetzen.
Kluge Antworten auf Chinas Strategie sind nötig. Europa empfehlen die MERICS-Autoren eine erweiterte Palette von Instrumenten, um auf die von staatlichen Akteuren betriebenen Aufkäufe europäischer Hightech-Unter­nehmen zu reagieren. Dazu gehöre mehr Transparenz bei Firmenübernahmen, damit eventuelle staatliche Einflussnahme rechtzeitig erkennbar werde. Ähnlich wie in den USA müsste auch in Europa die Bedeutung von Investitio­nen aus dem Ausland in einheimische Firmen für die ­nationale Sicherheit entschiedener geprüft werden. Eine weitere Option ist, die Ausweitung der auf dem EU-Binnenmarkt geltenden Wettbewerbsregeln auf Investitionen aus Drittstaaten anzuwenden. Die Regelungen untersagen staatliche Beihilfen, die den Wettbewerb verzerren.

Hangzhou als Stadt mit höchster Entwicklung in China
Hangzhou, eine Stadt im Osten Chinas und erfolgreiche Gastgeberin des G20-Gipfels im September 2016, wurde als eine historische und kulturelle Stadt voller Innovationskraft beschrieben. Die Stadt konnte ihre Reputation im Jahr 2016 wahren, indem sie eine Wirtschaftsleistung im Wert von 1,1 Billionen Yuan (160 Mrd. US-Dollar) im gleichen Jahr erzielte und so zu einer neuen Mitgliedsstadt des Billionen-Yuan-Clubs wurde. Das Pro-Kopf-BIP der Stadt erreichte das gleiche Niveau wie in den reichen Ländern, und der Glücksindex der Einwohner war der höchste unter den chinesischen Städten.
Jack Ma, Vorstandsvorsitzender von Alibaba und eine Ikone unter den wichtigen Persönlichkeiten in der Stadt, erklärte, dass Hangzhou aufgrund seiner landschaftlichen Schönheit und seines komfortablen Lebensumfelds als Garten im Hintergrund von Schanghai galt, dass die Stadt mittlerweile aber ein Modell für eine neue Art sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung in China geworden sei, und zwar dank der stetig wachsenden Innovationskraft der Stadt.
Im Lauf der letzten fünf Jahre hat sich die Stadtverwaltung von Hangzhou als wichtigstes Ziel gesetzt, die Informa­tionswirtschaft voranzutreiben und deren intelligenten Einsatz zu fördern, und sie erreichte dadurch eine jährliche Wachstumsrate von neun Prozent. Im Jahr 2016 belief sich die Wertschöpfung in der Informationswirtschaft auf 268,8 Milliarden Yuan (39 Mrd. US-Dollar) und trug mehr als 50 Prozent zum BIP-Wachstum bei.
Sowohl chinesische als auch ausländische Wirtschafts­experten glauben, dass dieser Erfolg beweist, dass sich Chinas Reformen auf der Angebotsseite in dieser Stadt auszahlen. Städte wie Hangzhou bringen ihre komparativen Vorteile ins Spiel und verfolgen konsequent den Wandel hin zur Informationswirtschaft, was ein qualitativ positives Umfeld für junges Unternehmertum schafft.
Die legendäre Erfolgsgeschichte von Jack Ma ist auf der ganzen Welt bekannt. Tatsächlich gibt es noch viel mehr E-Commerce-Unternehmen wie Alibaba in Hangzhou. Die Stadt ist Chinas erste Versuchszone für grenzüberschreitenden E-Commerce und sie ist Heimat von mehr als einem Drittel der E-Commerce-Unternehmen Chinas. Laut Angaben von iResearch, einem unabhängigen Datenanbieter, befinden sich 40 Prozent der B2B-Handelsplattformen Chinas mit Jahresumsätzen von mehr als zehn Millionen Yuan in Hangzhou.
Hangzhou ist ebenfalls Chinas nationale unabhängige Demonstrationszone für Innovation. Im Westen von Hangzhou gibt es eine sogenannte Dream Town. Sie wird von den Menschen als Insel der Fantasie bezeichnet, auf der Träume beginnen können. Die Geschichten von Start-ups, die Unternehmer­initiative für Internetprojekte mit Kapital kombinieren, werden hier jeden Tag Wirklichkeit. Mit einer Fläche von drei Quadratkilometern zieht die Dream Town mehr als 7.000 Unternehmer und 700 Projekte an. Ein großer Anteil dieser Unternehmer wurde nach 1990 geboren.

Magnet für Talente, Kapital und Projekte
Die jüngsten Zahlen zeigen, dass Hangzhou 2016 den ersten Platz auf der Liste der Top 20 der chinesischen Städte mit einem Nettozustrom von Talenten einnehmen konnte. LinkedIn erläuterte in seinem letzten Report, dass Hangzhou zu den drei Spitzenstädten in China gehört, die aus der Per­spektive von Ausländern am attraktivsten sind. In den letzten drei Jahren haben über 230.000 Talente aus dem Ausland beschlossen, sich in Hangzhou niederzulassen, und 94 Prozent von ihnen arbeiten in den Branchen IT-Software, Biomedizin, neue Energien, Energie­einsparung, Finanzdienstleistungen etc.
Zum Beispiel gibt es mit der Ant Financial Services Group, offiziell gegründet im Oktober 2014 und entstanden aus Alipay, der 2004 gegründeten, weltweit führenden Drittparteizahlungsplattform, eine Gemeinschaft aus Heimkehrern aus dem Ausland. Eine Mehrheit der Mitarbeiter war vorher für einige der großen Namen wie Facebook, Google, Amazon, eBay, Microsoft tätig. Sie haben sich das zur Aufgabe gemacht, was globale Finanzinstitute realisieren wollten, aber versäumten: integrative Finanzdienstleistungen für Klein- und Mikrounternehmen sowie für individuelle Konsumenten bereitzustellen und so dazu beizutragen, dass diese ebenbürtige Finanzdienstleistungen auf möglichst einfache Weise erhalten – unabhängig davon, ob sie reich oder arm sind und aus welchem Land sie kommen. Laut Zhao Yide, dem Chef der Kommunistischen Partei Chinas in Hangzhou, wird die Stadt alle Hindernisse auf ihrem Weg zu ökonomischer und innovativer Entwicklung und zum wirtschaftlichen Wandel ausräumen: „Wir müssen den Aufbau eines Zentrums für Innovation und Unternehmertum beschleunigen, das sich auf die Strategie ‚Internet plus‘ stützt und weltweit Einfluss hat, damit Hangzhou sich zu einer wunderschönen, internationalen Stadt entwickeln kann.“ (BO)