Laut OMV könnte Gazprom die Lieferungen einstellen © APA - Austria Presse Agentur
Nach der Warnung der OMV vom Dienstag, wonach auf Basis eines Gerichtsurteils Zahlungen für russisches Gas von einem "großen europäischen Energieunternehmen" gepfändet werden könnten und Gazprom Export daher Lieferungen einstellen könnte, bleibt unklar, welches Unternehmen gemeint ist. In offenen Quellen finden sich derzeit sechs Gerichtsverfahren sowie zehn Verfahren vor Schiedsgerichten gegen Gazprom Export. Es ist aber nicht bekannt, dass eines davon abgeschlossen wäre.
Der österreichische Konzern, dessen Tochter OMV Gas Marketing & Trading GmbH selbst ein Verfahren vor dem Schiedsgericht in Stockholm eingebracht hat und nach russischen Angaben zumindest 575 Mio. Euro von Gazprom Export erstreiten möchte, wollte am Donnerstag keine weiteren Angaben zum potenziell bedrohlichen Urteil machen. In ihrer Rolle als führendes Gasvermarktungs- und -handelsunternehmen sei die OMV verpflichtet, den Energiemarkt mittels einer Urgent Market Message über alle Maßnahmen zu informieren, die ihre Fähigkeit, Gas von ihren Lieferanten zu erhalten, beeinträchtigen könnten, erklärte eine Unternehmenssprecherin gegenüber der APA.
"Die OMV hat die in der Urgent Market Message enthaltenen Fakten geprüft und verifiziert", erläuterte sie, ohne unter anderem die Frage zu beantworten, ob sich das in der "Urgent Market Message" vom 21. Mai erwähnte "ausländische Gerichtsurteil" auf die Entscheidung eines regulären Gerichts oder eines Schiedsgerichts bezieht.
Im Register des Handelsgerichts von St. Petersburg finden sich Spuren von zumindest sechs Auseinandersetzungen mit Gazprom Export vor europäischen Gerichten, wobei die Gegenseite des russischen Gaskonzerns zumeist nicht genannt wurde und Details zu den einzelnen Klagen selbst gar nicht vorkommen. Bereits im Herbst 2022 versuchte das Kreisgericht von Warschau vergeblich, Dokumente über das russische Gericht an Gazprom Export aushändigen zu lassen. Mehr Erfolg hatte im September 2023 das Handelsgericht der kroatischen Stadt Osijek, dessen Dokumente übergeben werden konnten. In diesem Fall liegt ein Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Gazprom Export und der kroatischen Prvo plinarsko društvo (PPD) nahe, die sich laut Medienberichten in Osijek stritten.
Im Oktober 2023 versuchte zudem ein Gericht in Rom über das Petersburger Handelsgericht Dokumente auszuhändigen zu lassen, im März 2024 ein nicht näher definiertes Gericht in Luxemburg. Seit April 2024 korrespondiert das Landgericht Essen mit St. Petersburg: Hintergrund sei eine Klage der Lubmin-Brandov Gastransport GmbH, die von Gazprom Export ausstehende Entgelte im Ausmaße von 2,1 Mio. Euro bekommen möchte, informierte die APA ein Sprecher des deutschen Gerichts. Durch eine Gegenklage von Gazprom Export in Petersburg wurde im März 2024 zudem bekannt, dass die niederländische Gasunie Transport Service den russischen Konzern vor dem Gericht der Region Noord-Nederland auf Schadenersatz von zumindest 275 Mio. Euro geklagt hat.
Häufiger als an nationale Gerichte haben europäische Geschäftspartner von Gazprom Export sich an diskrete Schiedsgerichte gewandt, deren privatrechtliche Entscheidungen von nationalen Gerichten anerkannt und vollstreckt werden können. In den meisten bekannten Fällen hat Gazprom Export hier beim Handelsgericht in St. Petersburg Anträge eingebracht, die Fortsetzung dieser Schiedsverfahren zu untersagen, die sich insbesondere um ausgebliebene Gaslieferungen und Sanktionsfragen drehen.
Konkret war von einem Schiedsgerichtsverfahren der tschechischen Firma Net4Gaz die Rede, die 113 Mio. Euro einklagen wollte, vom niederländischen Konzern BBL Company V.O.F. und zumindest 91 Mio. Euro, von ZSE Energia aus der Slowakei und zumindest 9 Mio. Euro, von ČEZ aus Tschechien und zumindest 40 Mio. Euro sowie von OMV Gas Marketing & Trading und zumindest 575 Mio. Euro. Weitere Auseinandersetzungen vor Schiedsgerichten hat Gazprom Export zudem mit DXT Commodities aus der Schweiz, Innogy Energie aus Tschechien und Engie S.A. aus Frankreich, in diesen Fällen wurden im russischen Gerichtsregister jedoch noch keine Summen veröffentlicht.
Dokumentiert ist aber auch eine Rekordsumme von zumindest 14,3 Mrd. Euro, die sich die deutschen Konzerne Uniper Global Commodities SE und METHA - Methanhandel GmbH laut russischem Gerichtsregister vor dem Schiedsgericht in Stockholm zusprechen lassen wollen. Ein Uniper-Sprecher erklärte am Donnerstag auf APA-Anfrage, dass es in Stockholm noch keine Entscheidung gebe und diese für im Sommer 2024 erwartet würde.
Ein weiteres Schiedsgerichtsverfahren in Stockholm hat aus unerfindlichen Gründen bisher jedoch zu keiner russischen Gegenklage von Gazprom Export geführt: Laut Medienberichten hatte Ende 2022 auch der deutsche Energiekonzern RWE ein derartiges Verfahren gestartet - das "Handelsblatt" zitierte damals einen Experten, der die Streitsumme auf weniger als eine Milliarde Euro schätzte. Eine RWE-Sprecherin erklärte am Freitag gegenüber der APA, dass dieses Verfahren derzeit noch laufe.