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Anders als früher können sich IT-Fachkräfte heute ihren Arbeitgeber frei aussuchen, und Stellen für IT-Fachkräfte bleiben länger offen als Stellen in anderen Berufen. © vishnu vijayan/Pixabay

Norma Acevedo von Rodriguez Pardo & Assocs gibt Tipps zur agilen Talentakquise und -bindung.

In der IT-Branche ist die Talentakquise und -bindung zu einem entscheidenden Thema für wachsende Unternehmen geworden. Schnelligkeit, Zusammenarbeit und Transparenz sind die Schlüsselfaktoren für den Erfolg, ist Norma Acevedo von Rodriguez Pardo & Assocs überzeugt.

Vor vier Jahren trat ich in ein junges deutsches Unternehmen ein, dessen IT-Entwicklungsorganisation selbst bereits agil aufgestellt war, das Talent-Acquisition-Team (TA-Team) war jedoch eher traditionell aufgestellt. Die Frage lautete: Können schlanke und agile Prinzipien dem TA-Team dabei helfen, die Herausforderungen zu meistern?

Die zu lösenden Probleme
Im Gegensatz zu der Situation vor 30 Jahren, als IT-Fachleute nach Jobs suchten, sind es heute die Unternehmen, die dringend IT-Fachleute brauchen und suchen. Nach Angaben des U.S. Bureau of Labor Statistics wird die Beschäftigung in Computer- und Informationstechnologie-Berufen von heute bis 2030 voraussichtlich um 22 Prozent zunehmen, schneller als der Durchschnitt aller anderen Berufe. Darüber hinaus hat die deutsche Bundesagentur für Arbeit in ihrem Statistikteil, der Broschüre IT-Fachkräfte, veröffentlicht, dass Stellen für IT-Fachkräfte durchschnittlich etwa 14 Tage länger offenbleiben als Stellen anderer Berufe – und der Trend geht nach oben. Zusätzlich macht unsere festgefahrene Bürokratie die Talentakquise noch schwieriger als sonst.

 

„Im Gegensatz zu der Situation vor 30 Jahren, als IT-Fachleute nach Jobs suchten, sind es heute die Unternehmen, die dringend IT-Fachleute brauchen und suchen.“ 

Norma Acevedo, Partnerin Rodriguez Pardo & Assocs

 

Sich den Herausforderungen stellen
Nach dem Entschluss, ein Entwicklungszentrum in Bulgarien zu eröffnen, war der erste Schritt die Organisation eines Workshops mit den bulgarischen Entwicklungsteams. Diese entsandten Vertreter, um die Situation zu analysieren und Wege zu finden, Hindernisse zu beseitigen. Zu den wichtigsten Hindernissen, die die Teams feststellten, gehörten die folgenden vier:

• Nach dem ersten erfolgreichen Telefoninterview zwischen dem neuen Bewerber und dem TA-Manager wurde das Bewerbungsformular an den Prüfungsausschuss des Einstellungsleiters weitergeleitet. 

• Wenn die Bewerbung die Prüfung durch den Einstellungsleiter bestand, wurde ein zweites Gespräch angesetzt, an dem der Einstellungsleiter, der TA-Manager und der Bewerber teilnahmen.

• Wurde auch das zweite Gespräch bestanden, wurde ein drittes Gespräch mit einigen erfahrenen Entwicklern angesetzt. 

• Erst dann wurde eine Entscheidung getroffen. 

Dies resultiert in langen Bewerbungsverfahren und einem hohen bürokratischen Aufwand.

Geringe Beteiligung des Entwicklungsteams bei der Auswahl
Wenn der „Kunde“ des Talentakquisitionsteams, d. h. das Entwicklungsteam, nicht in den Einstellungsprozess einbezogen wurde oder das Team nicht die endgültige Entscheidung getroffen hat, können sprachliche und kulturelle Barrieren dazu führen, dass sich Mitarbeiter nicht wohl in ihrer Arbeitsumgebung fühlen oder vom Team nicht akzeptiert werden.

Fehlende Transparenz
Unsere Entwicklungsteams wollten während des gesamten Einstellungsprozesses zusammenarbeiten und einen transparenten Personalstatus für alle Teams haben. Wie wir alle wissen, ist Transparenz die Grundlage für Vertrauen, was wiederum die Basis für Zusammenarbeit und offene Kommunikation ist.

 

Über die Autorin
Norma Acevedo ist Partnerin bei der internationalen Firma Rodriguez Pardo & Assocs. Als Business Agility Consultant und Agile-Expertin unterstützt sie Organisationen weltweit auf ihrem Weg zur Agilität. Als Program Manager bei Commercetools, der weltweit führenden Handelsplattform, war Norma Acevedo Teil des Führungsteams, das für die Definition der organisatorischen Prozesse und Strukturen verantwortlich war. Seit über 27 Jahren ist Norma als Softwareentwicklerin, Wartungsingenieur, Trainerin, Prozessingenieurin und Deployment Managerin bei Ericsson tätig. Sie war intensiv in die Agile Transformation im Ericsson ICT Center Aachen involviert und agierte als Change Agent, Coach und Beraterin für Ericsson-Kunden. Sie ist eine international renommierte öffentliche Rednerin auf Agile-, Design-Thinking- und DevOps-Konferenzen.

 

Das Branding und der Ruf des Unternehmens
Die Marke unseres Unternehmens in Bulgarien war in ein „Schwesterunternehmen“ integriert, das eine starke Präsenz im Land und einen guten Ruf als Einzelhandelsmarke hatte, doch die Marke des Schwesterunternehmens war für IT-Fachleute nicht attraktiv. Würden Sie als talentierter IT-Fachmann für eine unbekannte Marke arbeiten?

Problemlösungsansatz
Aus den ermittelten Hindernissen definierten wir dann Ziele: 

• Reduzierung des bürokratischen Prozesses der TA durch vermehrte Dialoge.

• Zusammenarbeit während des gesamten Prozesses.

• Beteiligung des Entwicklungsteams während des gesamten Prozesses.

• Volle Transparenz während des gesamten Prozesses.

• Die Vormundschaft der Schwester verlassen und unsere eigene Marke schaffen

 

Bei dem siebenstufigen TA-Prozess steht der Mensch im Mittelpunkt. © Rodriguez Pardo & Assocs

 

Lean-Prozess: Zusammenarbeit mit dem Entwicklungsteam von Anfang an 
Das TA-Team erklärte sich bereit, die Dokumentation auf ein Minimum zu beschränken und lieber einen Dialog zu führen, anstatt Papiere auszufüllen. Das Konzept eines „Teamtages“ wurde erstellt und umgesetzt. Dies hatte eine erstaunliche Auswirkung, indem es die Zykluszeit des Prozesses von Wochen auf Tage verkürzte! Der siebenstufige Prozess, bei dem der Mensch im Mittelpunkt steht, sieht folgendermaßen aus:

Schritt A: Vor dem Teamtag kontaktiert das TA-Team den Kandidaten und vereinbart einen Termin.

Schritte B, C, D und E: Diese Schritte bilden den Teamtag. An einem Arbeitstag trifft sich das Team mit dem Kandidaten, um ein erstes Gespräch zu führen, bei einem Mittagessen informelle Gespräche zu ermöglichen und das Eis zu brechen, um dem Bewerber eine technische Aufgabe zuzuweisen, die er an einem der Schreibtische des Teams bearbeitet, vom Kandidaten eine Präsentation der Aufgabe und das Feedback zum „Teamtag“ an das Team einzuholen sowie dem TA-Team die Entscheidung des Teams mitzuteilen. Das TA-Team wiederum kontaktiert den Kandidaten. Falls der Kandidat nicht für die Stelle akzeptiert wird, bedankt sich das TA-Team beim Kandidaten für sein Interesse und die investierte Zeit. Bittet der Kandidat um nähere Angaben zu den Gründen für die Ablehnung, so gibt die TA diese Informationen respektvoll weiter. Transparenz in alle Richtungen ist das Gebot der Stunde!

Schritte F und G: Im Fall einer positiven Entscheidung fährt das TA-Team mit den entsprechenden Vertragsverhandlungen fort, und das Entwicklerteam wird über den Vertragsbeginn informiert.

Volle Transparenz während des gesamten Prozesses 
Die Muttergesellschaft war im Bereich des visuellen Managements recht fortschrittlich und hat ein Dashboard entwickelt, um den Personalbestand des gesamten Teams und seinen Bedarf an neuen Talenten zu visualisieren. An einer Wand in der Haupthalle, die für alle Mitarbeiter gut sichtbar ist, schuf das Unternehmen ein „brick and mortar“-Board.

 

Besetzungsliste in der Unternehmenszentrale (l.) und der Muttergesellschaft in Köln (r.) © Rodriguez Pardo & Assocs

 

Mit farbigen Post-it-Zetteln wurde der Status jedes Teams markiert. Jedes Entwicklungsteam war dafür verantwortlich, seine Situation auf dem neuesten Stand zu halten: 

• Rosa: Benötigte Rolle (Ich werde gebraucht).

• Grün: Name des künftigen neuen Teammitglieds sowie das Ankunftsdatum (Ich werde ankommen).

• Blau: Name eines Teammitglieds, das wegen Rotation, Elternurlaub oder aus anderen Gründen abwesend war, das Datum, wann es zurückkommt und wo es sich befindet (Ich bin woanders).

• Gelb: Name des Teammitglieds, das das Team verlässt, und das letzte vertraglich vereinbarte Datum (Ich werde gehen).

Obwohl dies nicht die Absicht der Tafel war, wirkte sich die Präsentation der Tafel bei externen Besuchern positiv auf unser Image aus und inspirierte sie dazu, etwas Ähnliches in ihrem Unternehmen einzuführen. 

Auf der linken Seite verwendeten wir eine Säule pro angefragter Rolle. Die Teams platzierten ihre kleinen Logos in der entsprechenden Rollenspalte, um ihre Anfragen sichtbar zu machen. In einem wöchentlichen Meeting priorisierten die Vertreter der Entwicklungsteams und ein TA-Vertreter gemeinsam die benötigten Rollen-Queues. Die Priorisierung basierte auf den Kriterien, die die Teams bei der Definition des Prozesses formuliert hatten. Die zwei wichtigsten Aspekte waren: die „Kritikalität der zu erbringenden Leistung“ und die Größe des Teams. Das Team, das ganz oben in der Warteschlange stand, hatte die höchste Priorität und plante seinen „Teamtag“ zuerst. Als wir das Brett in Bulgarien nachbauten, entschieden wir, die Einstellungsfragen in die Backlogs mit aufzunehmen und wie alle anderen Backlogs zu priorisieren.

Fazit

• Diese Methode ermöglicht es den Mitgliedern des Entwicklungsteams, die besten Kandidaten für ihre Teams und das Unternehmen zu gewinnen und zu sichern. 

• Kandidaten sind Fachleute. Wir müssen sie respektieren und eine offene Kommunikation mit ihnen pflegen.

• Unterschätzen Sie nicht die Macht einer weißen Wand in der Mitte Ihres Unternehmens – hängen Sie dort die Stellenausschreibung für das Entwicklerteam aus. Denken Sie daran: Transparenz schafft Vertrauen, und Vertrauen erleichtert die Zusammenarbeit und gute Kommunikation.

• Verbessern Sie Ihren Rekrutierungsprozess laufend mit dem Feedback von Bewerbern, Teams, Managern und sogar Besuchern. Holen Sie Feedback ein und beschleunigen Sie die Verbesserung. (NA)

 

© Rodriguez Pardo & Assocs
 



Norma Acevedo
ist Partnerin bei Rodriguez Pardo & Assocs.
Nähere Informationen finden Sie unter www.rodriguezpardo.com.