Die Kunst der Stunde

NEW BUSINESS - NR. 11, DEZEMBER 2020/JÄNNER 2021
KI besitzt großes Potenzial, das von den meisten Unternehmen jedoch nicht ausgeschöpft wird. © Adobe Stock/Maryna

Dank intensiver Forschung und Entwicklung ist die künstliche Intelligenz in der Realität angekommen. Ihr wahres Talent ist für viele jedoch noch ein großes Rätsel. Zeit, den Vorhang zu lüften.

Seit Jahrhunderten beschäftigt die Menschheit eine bislang unbeantwortete Frage: Gibt es weiteres intelligentes Leben im Universum? Viele wissenschaftliche Erkenntnisse sprechen dafür, weshalb die Suche in den Unweiten des Weltalls weiter auf Hochtouren läuft. Währenddessen ist eine neue Form der Intelligenz dabei, mitten unter uns zum Leben zu erwachen, die Forschern – hier auf der Erde – ein nicht minder spannendes Gebiet eröffnet.
Die Rede ist von der künstlichen Intelligenz (KI; oder im Englischen Artificial Intelligence – „AI“), die oft mit Robotern und Supercomputern in zukunftsweisenden Science-Fiction-Filmen assoziiert wird. Tatsächlich unterstützt KI aber bereits eine Vielzahl von Unternehmen bei unterschiedlichsten Aufgaben. Die Anwendungsgebiete reichen von Lösungen, die in der Lage sind die menschliche zu Sprache verstehen, wie automatische Übersetzer oder Sprachassistenten über Programme, die Videoszenen automatisiert analysieren, bis hin zu Systemen, die konkrete Schlüsse aus großen Datenmengen ziehen und damit Prognosen für die Zukunft erstellen. KI-Technologien schaffen in vielen Branchen stark veränderte oder gänzlich neue Produkte und Dienstleistungen und werden – so viel ist sicher – künftig einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Dynamik Österreichs leisten. Dennoch zögern die meisten Unternehmen, diese vielversprechende Technologie einzusetzen, oder erkennen erst gar nicht das Potenzial, das diese KI-Systeme für sie eröffnen könnten.
Um dies zu ändern, betreibt die Wiener ONTEC AG intensive Forschung im eigenen Unternehmen. Ein Leuchtturmprojekt in diesem Zusammenhang ist die Erstellung eines Kriterienkatalogs für KI-Systeme, der eine ganzheitliche Beschreibung und Bewertung dieser Systeme ermöglicht. Langfristiges Ziel ist es, KI-Anwendung für Unternehmen und Gesellschaft frei zugänglich zu machen und so Hürden für ihren Einsatz abzubauen.
Dieses Ziel brennt auch Tobias Eljasik-Swoboda, seines Zeichens AI Architect bei der ONTEC AG, auf der Seele. Der leidenschaftliche Informatiker und Softwareentwickler beschäftigt sich seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema KI und hat bereits mehrere Forschungsarbeiten verfasst und publiziert. Wie wir im Interview mit ihm erfahren, liegt seine erste Begegnung mit der künstlichen Intelligenz jedoch ein Weilchen weiter zurück.

Herr Eljasik-Swoboda, können Sie sich noch erinnern, wann Sie zum ersten Mal von der künstlichen Intelligenz gehört haben? Was haben Sie dabei gedacht?
Als Kind habe ich sehr gerne „Star Trek: The Next Generation“ im Fernsehen geschaut. Ltd. Commander Data, der Androide, der versucht, menschlicher zu sein, hat mich dabei immer besonders fasziniert. Mir war klar, dass hier eine ferne Zukunft dargestellt wird, und ich wollte gerne ein Teil des Weges in diese Zukunft sein.

KI hat sich im Laufe der Zeit von der Fiktion zur ­Realität entwickelt. Viele Unternehmen haben ­dennoch Hemmungen, diese Technologie in der Praxis einzusetzen. Woran liegt das?
Künstliche Intelligenzen sind häufig Black-Box-Systeme. Für BenutzerInnen, aber auch EntscheiderInnen ist oft nicht nachvollziehbar, warum eine KI entscheidet, wie sie entscheidet. Außerdem gibt es Berührungsängste, da KI oft mit Horrorszenarien wie beispielsweise einer chinesischen Totalüberwachung in einem Atemzug genannt wird. Dadurch existiert eine Hemmschwelle. Teil unserer internen Forschungsziele ist es, diese Hemmschwelle zu verringern und mehr Transparenz zu schaffen.

Wird der künstlichen Intelligenz in der heimischen­ F&E-Landschaft genügend Aufmerksamkeit ­geschenkt?
Ja, das wird ihr. Sowohl das Austria Wirtschaftsservice (aws) als auch die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG fördern derzeit KI-Forschung und Innovation. Natürlich könnte man immer noch mehr in das Thema investieren, aber ich sehe Österreich hier auf einem guten Weg. Eine existierende Einschränkung ist der Mangel an qualifiziertem Personal.

Welche Entwicklungen hat KI für Unternehmen und Wirtschaft bereits ins Rollen gebracht?
KI-Komponenten sind Teil der aktuellen Informationstechnologie und somit bereits schleichend Teil des Arbeitsalltags vieler geworden. Zum Beispiel das Austauschen oder Verschwimmenlassen des Hintergrunds bei den momentan häufigen Videokonferenzen. KI bietet aber auch die Möglichkeit, Tätigkeiten außerhalb der Bürozeiten zu automatisieren, wovon zum Beispiel Versicherungen mittlerweile verstärkt Gebrauch machen. Für die fertigende Industrie spielt sicherlich auch Predictive Maintenance (die Vorhersage notwendiger, außertourlicher Wartungen) bereits eine wichtige Rolle.

In welchen Unternehmensbereichen hat KI derzeit das größte Potenzial?
Laut einer Forbes-Studie hat KI das Potenzial, die Profite je nach Branche zwischen 9 und 84 Prozent bis 2035 zu steigern. KI hat ein großes Potenzial dafür, neue Geschäftsideen überhaupt erst zu ermöglichen und diese zu skalieren. Man kann die Anzahl der verwendeten Computer deutlich leichter vervielfachen als das qualifizierte Personal. Dabei müssen Angestellte nicht um ihre Jobs bangen, weil KIs immer von jemandem lernen und in ihrer Arbeit kontrolliert werden müssen. Wir helfen unseren Kunden gerne dabei, die für sie richtigen Anwendungsfälle für künstliche Intelligenz zu finden. Weil Cybersecurity ein immer größeres Problemfeld wird, in dem Spezialisten rar sind, arbeiten wir zum Beispiel mit unserer Schwester­firma Schoeller Network Control an einer KI zum Schutz der Daten in Unternehmen.

ONTEC verfügt ja über eine hauseigene Forschung im KI-Bereich. Wann haben Sie damit begonnen und welchen Fragen wird dort aktuell nachgegangen?
Die ONTEC AG betreibt seit Anfang 2019 interne Forschung im KI-Bereich. Ich persönlich beschäftige mich seit 2014 intensiv mit dem Thema. In dem Forschungsfeld ist in dieser Zeit die Erklärbarkeit der künstlichen Intelligenz in den Fokus gerückt. Nicht zuletzt durch das in der DSGVO festgeschriebene Recht auf Erklärung. Alle EU-BürgerInnen haben demnach das Recht, Erklärungen für Entscheidungen zu verlangen. Wenn diese durch eine KI getroffen werden, ist das ein Spannungsfeld mit der häufigen Intransparenz von KI-Systemen. Daher ist die Schaffung von mehr Transparenz in KI-Systemen eine zentrale Forschungsfrage, der wir in der ONTEC AG nachgehen.

Was macht die Forschung im Bereich KI für Sie so spannend?
Für mich persönlich ist es eine Kindheitsfaszination, Programme zu schreiben, die selbstständig lernen können, Probleme zu bewältigen, und uns dabei helfen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Bei der Entwicklung von KI geht es ja vor allem um maschinelles Lernen. Wie kann man sich so einen Lernvorgang vorstellen?
Bei der normalen Programmierung gibt der Mensch exakt vor, wie mit Eingaben umzugehen ist, um bestimmte Ausgaben zu generieren. Beim maschinellen Lernen gibt der Mensch anhand von Beispielen vor, welche Ausgabe bei welcher Eingabe erwartet wird. Dadurch wurde es Maschinen auch möglich, Aufgaben zu erfüllen, für die noch kein Mensch ein Programm formulieren konnte. Maschinelles Lernen besteht hauptsächlich aus dem Sammeln dieser Beispiele. Liegen sie vor, kann nach Wahl der richtigen Lernmethode der Computer lernen, die gewünschte Aufgabe selbstständig zu erledigen. Abschließend sollte das erlernte Programm mit noch unbekannten Daten getestet werden, um Rückschlüsse darüber zu ziehen, wie viele Fehler es noch macht. Irren ist menschlich. Genauso machen künstliche Intelligenzen auch Fehler. Es ist aber ein großer Unterschied, wobei die Fehler unterlaufen und wie häufig sie sind. Zum Beispiel kann man bei individuell ausgewählten Werbeanzeigen eine höhere Fehlerquote tolerieren als bei der Erkennung von Krebszellen im medizinischen Bereich.

Gibt es eine „Fähigkeit“ die KI niemals erlernen wird?
Sag niemals nie. Grundsätzlich würde ich hier aber jede Aufgabe sehen, für die das Sammeln der notwendigen Daten zum Lernen nicht oder nur schwer möglich ist. Eine Roboter-Tanzpartnerin, die mit einem unpräzise führenden Partner in einem vollen Ballsaal tanzen kann, halte ich beispielsweise für äußerst herausfordernd.

Was meinen Sie: Wie würde die künstliche Intelligenz in einem IQ-Test für Menschen abschneiden?
Schlecht. Liegen genügend Daten zum Lernen vor, kann eine KI Menschen in einzelnen Aufgaben übertreffen. Beim Lösen völlig neuer Probleme, einer Aufgabe, die ja in IQ-Tests für Menschen überprüft wird, sind wir ihr aber noch weit voraus. (BO)


ZUR PERSON
Tobias Eljasik-Swoboda
Tobias Eljasik-Swoboda begann seine berufliche Karriere in der IT-Branche im Jahr 2004 mit einem Informatikstipendium der Fujitsu Siemens Computers GmbH (FSC). Nach seinem Bachelorabschluss 2007 arbeitete er als Systems Engineer und IT Consultant für FSC, welche 2009 zur Fujitsu Technology ­Solutions umfirmierte. 2011 zog er der Liebe wegen nach Wien und arbeitete in verschiedenen ­Positionen für die Raiffeisen Informatik GmbH (R-IT). Seit dem Verkauf eines Geschäftsbereichs der R-IT an die S&T AG 2017 arbeitete er dort als Lead Architect. Seit 2019 ist er bei der ONTEC AG als AI Architect tätig. Gleichzeitig absolviert er an der Fernuniversität in Hagen ein Doktoratsstudium im Lehrgebiet Multimedia und Internetanwendungen, das kurz vor dem Abschluss steht. Seine Doktorarbeit mit dem Schwerpunkt „Bootstrapping von erklärbarer Machine-Learning-basierter Text-Kategorisierung im Kontext von neu entstehendem Wissen“ ist bereits eingereicht. Tobias Eljasik-Swoboda ist außerdem Co-Autor des Buches „Innovation durch Natural Language Processing – Mit Künstlicher Intelligenz die Wettbewerbsfähigkeit verbessern“, das von den Fraunhofer-Forschern Prof. Wilhelm Bauer und Prof. Joachim Warschat zusammengestellt wurde und ­Anfang 2021 im Carl Hanser Verlag erscheinen wird. Gemeinsam mit seinem ONTEC-Kollegen Christian Rathgeber und Prof. Rainer Hasenauer (WU Wien, INiTS GmbH) hat er ein Kapitel mit dem Titel ­„Automatische Abschätzung von Technology und ­Market Readiness durch die READINESSnavigator AI“ verfasst.

INFO-BOX
Über die ONTEC AG
Der IT-Dienstleister ONTEC AG wurde 2001 als eigenständiges Unternehmen der TEC GRUPPE gegründet und vertraut seit Mai 2018 auf das Konzept Holacracy. Heute arbeiten 60 Mitarbeiter am Firmensitz in Wien. Durch einen neu entwickelten ganzheitlichen Lösungsansatz hat sich die ONTEC vom Anbieter von Individualsoftware und IT-Serviceleistungen, zum Spezialisten für digitale Transformation und Managed IT-Services für geschäftskritische Prozesse entwickelt. In den letzten Jahren spielt Artificial Intelligence dabei eine stetig wachsende Rolle. Mit dem READINESSnavigator 4 AI hat ONTEC ein System entwickelt, das den Status der eingesetzten Artificial Intelligence und den AI-Fortschritt im Unternehmen laufend feststellen kann. Gleichzeitig dient das Tool zur Messung der Marktreife einer Technologie und reduziert so das Risiko eines Investitionsverlustes für das einsetzende Unternehmen. Konnte ein Anwendungsbereich für eine AI identifiziert werden, testet ONTEC in einem nächsten Schritt auf Basis eines Prototyps, welche Ergebnisse durch ihren Einsatz erzielt werden können. Die Artificial Intelligence kann hier mit relativ wenigen, bereits im Unternehmen vorhandenen Daten zum Lernen arbeiten. Ist der Proof of Concept erbracht, kann ONTEC dank jahrelanger Erfahrung beim Erstellen businesskritischer Software und hauseigener Forschung im AI-Bereich daraus professionelle Software entwickeln, diese in bestehende IT-Landschaften integrieren und bei Bedarf auch betreiben.
www.ontec.at