Menschenrechte sind zentraler Bestandteil des Lieferkettengesetzes © APA - Austria Presse Agentur
Ein umstrittener Kompromiss zur Abschwächung des EU-Lieferkettengesetzes, das mehr Auflagen für Menschenrechte und Umwelt bringen soll, ist vorerst geplatzt. Eine knappe Mehrheit der Abgeordneten stimmte dafür, noch keine finalen Verhandlungen mit den EU-Staaten aufzunehmen. ÖVP und NEOS zeigten sich über die Nicht-Einigung enttäuscht. SPÖ, Grüne und Kinderschützer wiederum zufrieden, sie sehen noch einigen Verbesserungsbedarf.
Reinhold Lopatka, ÖVP-Delegationsleiter im Europaparlament, meinte am Mittwochnachmittag: "Die Vorläufige Ablehnung der Entbürokratisierung beim Lieferkettengesetz ist eine vertane Chance für unsere Wirtschaft und die Zukunft unserer Unternehmen." Und Parteikollegin Angelika Winzig, Wirtschaftssprecherin im Europaparlament, fügte kritisch an: Wie die SPÖ-Europaabgeordneten hier gemeinsame Sache mit den Rechts- und Linksaußenparteien machen können, ist mir unverständlich."
SPÖ-Abgeordnete Evelyn Regner betonte hingegen: "Heute haben wir verhindert, das Schicksal des Lieferkettengesetzes als leere Hülle endgültig zu besiegeln. Wir haben dafür gesorgt, dass eine Position ohne wirkliche Forderungen nicht einfach durchgewunken wird. Eine Position, die wegen der Europäischen Volkspartei nicht nur wenig ambitioniert, sondern gänzlich inhaltsleer war."
Heimische Parteien uneins
Die Grüne Abgeordneten Lena Schilling zeigte sich ebenso zufrieden: "Heute in Straßburg hat sich gezeigt: Es gibt noch eine Mehrheit, der Menschenrechte und Umweltschutz nicht egal sind. Wir werden in den anstehenden Verhandlungen weiter gegen Kinderarbeit, Ausbeutung und Umweltzerstörung kämpfen."
Die NEOS-Europaabgeordneten Anna Stürgkh sieht hingegen einen "Schlag gegen Planungssicherheit, gegen Unternehmen und gegen ein handlungsfähiges Europa". "Statt Verantwortung zu übernehmen, hat die EVP parteipolitische Spielchen gespielt - und dabei offen mit der Allianz nach Rechtsaußen gedroht", betonte Stürgkh.
Die private Initiative "Kinderarbeit stoppen" erklärte: "Der Handlungsbedarf ist enorm, 139 Millionen arbeitende Kinder warten auf konkrete Maßnahmen, damit ihr Leben eine Zukunft hat.
Neuer Anlauf im November
Nun muss das Europäische Parlament im November erneut über den Inhalt des Vorhabens abstimmen. Es könnte in den entscheidenden Verhandlungen mit den EU-Staaten für strengere oder deutlich schwächere Regeln eintreten.
An der Entscheidung ist besonders brisant, dass die EVP, zu der auch die deutsche CDU und CSU sowie die österreichische ÖVP gehören, die Sozialdemokraten (S&D) und Liberalen eigentlich im Rechtsausschuss vorher einen Kompromiss ausgehandelt hatten.
Die drei Fraktionen arbeiten eigentlich in einer Art informeller Koalition zusammen. Sie haben eine knappe Mehrheit im Parlament. In der geheimen Abstimmung müssen aber Abgeordnete aus den eigenen Reihen von der jeweiligen Fraktionslinie abgewichen sein.
Grüne spricht von Super-Gau
"Das ist der Super-Gau für die EVP", teilte die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini kurz nach der Abstimmung mit. Das sei ein Denkzettel für die Erpressungstaktik und Drohungen der EVP, mit Rechtsaußen abzustimmen. Auch Sozialdemokraten hätten gegen das Vorhaben gestimmt. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) spricht von einer vertanen Chance, den industriellen Mittelstand zu entlasten.
Aus der EVP kommt vehemente Kritik an den Sozialdemokraten. Der Kompromiss habe nicht gehalten, weil sich Teile der Sozialdemokraten nicht an eine Vereinbarung halten könnten, hieß es aus Kreisen der Europäischen Volkspartei nach der Abstimmung. Dank der Stimmen von Rechts- und Linksradikalen und Teilen der Sozialdemokratie müssten viele Unternehmen in Europa unnötig warten. Das sei unverantwortlich.
Im Rechtsausschuss war unter anderem vereinbart worden, dass die Vorgaben nur noch für Großunternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro gelten. Ursprünglich waren als Grenze 1.000 Mitarbeitende und eine Umsatzgrenze von 450 Millionen Euro vorgesehen. Zudem sollen Unternehmen, die gegen die Regeln verstoßen, auf EU-Ebene keiner zivilrechtlichen Haftung mehr unterliegen.
Ziel der EU-Richtlinie ist der Schutz von Menschenrechten
Das europäische Lieferkettengesetz wurde eigentlich bereits vergangenes Jahr beschlossen. Ziel ist, Menschenrechte weltweit zu stärken. Große Unternehmen sollen zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen wie Kinder- oder Zwangsarbeit profitieren. Nach Kritik von Unternehmen sollen Teile der Richtlinie vereinfacht werden, noch bevor sie angewendet werden.
Erpressungsvorwurf
Der EVP-Verhandlungsführer Jörgen Warborn soll in den Verhandlungen damit gedroht haben, durch eine Mehrheit mit rechten bis rechtsextremen Kräften noch stärkere Änderungen an dem Vorhaben zu fordern.
Auf die Kritik angesprochen, sagte Warborn jüngst bei einer Pressekonferenz: "Ich bin sehr auf die Ergebnisse fokussiert." Es sei gut, dass es im Rechtsausschuss eine Mehrheit mit Sozialdemokraten und Liberalen gebe, da sich Europa in einer problematischen Situation befinde.