Maarten N. (rechts) wandte sich an die Gewerkschaft © APA - Austria Presse Agentur

Die Arbeitsbedingungen beim Online-Versandhändler Amazon stehen nun auch in Österreich in der Kritik. Vorwürfe eines Beschäftigten reichen von Überwachung über Disziplinierungsmaßnahmen bis hin zu erniedrigenden Vorschriften, denen die Beschäftigten ausgesetzt seien. Amazon wies die Vorwürfe in einem schriftlichen Statement zurück, die Gewerkschaft kündigte an, gegen Missstände vorzugehen.

Seit Oktober 2018 hat der Onlineriese auch in Österreich ein Verteilzentrum: In Großebersdorf (NÖ). "Wir denken nicht, dass die Vorwürfe die Wirklichkeit in unseren Gebäuden widerspiegeln", hieß es am Mittwoch zur APA. An allen Standorten seien seit dem Start von Amazon sichere und attraktive Arbeitsplätze entstanden. "Die Gesundheit und Sicherheit unserer Mitarbeiter haben dabei immer die höchste Priorität. Wie jedes Unternehmen erwarten wir eine bestimmte Leistung von den Mitarbeitern. Deshalb arbeiten unsere Manager eng mit den Mitarbeitern zusammen, um sie zu fördern und zu unterstützen", so das Unternehmen.

Der Holländer Maarten N. arbeitet seit sechs Monaten im Verteilzentrum von Amazon in Großebersdorf (NÖ). "Wir wollen nicht, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei uns respektlos und menschenunwürdig behandelt werden", sagte die Vorsitzende der Privatangestellten-Gewerkschaft GPA-djp, Barbara Teiber, am Mittwoch bei einem Pressegespräch in Wien. Maarten N. hat sich an die Gewerkschaft gewandt. Er ist wie die meisten seiner Kollegen über eine Leiharbeitsfirma bei Amazon beschäftigt. Derzeit seien lediglich 16 Filialmanager bei Amazon selbst angestellt, so Teiber. Operativ arbeite das Unternehmen ausschließlich mit Leiharbeitern. Derzeit seien es etwa 150.

"Am schlimmsten ist es, dass man am Anfang der Woche nicht weiß, ob man am Ende der Woche noch einen Job hat", sagte Maarten N. vor zahlreichen Journalisten. Im November 2018 habe er einen 25-Stunden-Vertrag unterzeichnet. Nach dem Weihnachtsgeschäft sei seine Arbeitszeit reduziert worden, da es weniger Geschäft gab. Mitarbeiter seien unter der Androhung von Personalreduktion ersucht worden, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Doch trotz Stundenreduktionen seien Beschäftigte gekündigt worden, erzählte er.

Den Arbeitsdruck im Verteilerzentrum schilderte der Holländer als hoch. Da Amazon räumliche Anpassungen vorgenommen habe, um mehr Pakete pro Tag ausliefern zu können, sei es in der Halle sehr eng. Zudem seien die Beschäftigten einer ständigen Überwachung ausgesetzt. Ein Scanner, der als Arbeitsgerät benutzt wird, registriere die Arbeitsleistung. Die Mitarbeiter selbst hätten keine Erlaubnis, ihre Daten einzusehen. Die gewonnenen Daten würden aber zur Entscheidung über eine Verlängerung der Beschäftigung herangezogen.

Während der Arbeitszeit dürften die Beschäftigten im Verteilzentrum keine persönlichen Gegenstände wie Handys, Uhren, Gürtel oder sogar Kaugummi bei sich haben. "Wer etwas dabei hat, steht unter Pauschalverdacht, es womöglich aus einem Paket entwendet zu haben", so Maarten N. Abgesehen von den Umkleideräumen gebe es überall Überwachungskameras.

Der Onlinehändler arbeitet in Österreich mit Auslieferungsboten zusammen, darunter Intersprint, Albatros, Veloce und LTS. Die Fahrer liefern pro Tag zwischen 80 und 300 Pakete aus. Ihnen drohten bei "Fehlverhalten" wie falscher Bekleidung Disziplinierungsmaßnahmen, erzählte Maarten N. Zur Strafe müssten sie dann jedes Paket unter Aufsicht einzeln scannen, obwohl es die Möglichkeit einer gruppierten Scannung gebe.

Die Gewerkschaft will gleich an mehreren Fronten gegen den Onlineriesen vorgehen. "Solche Verhältnisse werden wir nicht zulassen", stellte die Vorsitzende der Privatangestellten-Gewerkschaft, Barbara Teiber, klar. Angerufen werden Arbeitsinspektorat, Gebietskrankenkasse und Sozialministerium.

Das Arbeitsinspektorat solle überprüfen, ob die Arbeitsplatzsituation im Verteilzentrum in Großebersdorf gesetzeskonform sei, so Teiber. Es gebe zu wenig Platz für die Beschäftigten und eine Gefährdung durch ungesicherte Regale. Die niederösterreichische Gebietskrankenkasse solle überprüfen, ob Scheinselbstständigkeit vorliege.

Beim Sozialministerium will die Gewerkschaft eine Verordnung anregen, um die Anzahl der Leiharbeiter zu beschränken. Das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz gibt Gewerkschaften diese Möglichkeit. Derzeit arbeitet Amazon in Österreich praktisch nur mit Leiharbeitern. Leiharbeiter seien da, um Spitzen abzudecken, aber nicht für die Regelarbeit, sagte Teiber. Von der neuen Regierung wünscht sich die GPA überhaupt eine gesetzliche Beschränkung der Anzahl von Leiharbeitern pro Unternehmen.

Ob die Gewerkschaft gegen Amazon ankommt, ist noch fraglich. "Amazon ist sehr geschickt darin, die Grenzen auszuloten, in denen sie agieren können. Sie handeln aber unmoralisch, respektlos und menschenunwürdig", sagte Teiber.

Abgesehen von den Arbeitsbedingungen ist Amazon bei Gewerkschaften und Wirtschaftstreibenden auch aufgrund seiner Steuerpraxis im Visier. Der Handelsverband, eine Interessenvertretung der größten Händler in Österreich, führt schon seit langem einen Feldzug gegen Amazon und hat im Vorjahr eine Beschwerde bei der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) eingebracht. Die Behörde ermittelt derzeit noch. Auch die Wirtschaftskammer beklagt immer wieder die unfairen Wettbewerbsbedingungen.

In Österreich ist der Onlinehandel fest in der Hand von Amazon. Das Kölner Handelsforschungsinstitut EHI schätzt den Umsatz in Österreich auf 643 Mio. Euro, dabei sind hier Film- und Musik-Streamingdienste sowie Waren, die Dritthändler auf Amazon anbieten, noch gar nicht mitgerechnet - denn hierfür kassiert der Onlineriese Provision. Alles zusammen dürfte sich der Umsatz von Amazon in Österreich auf mehr als 1,2 Mrd. Euro belaufen. Der zweitplatzierte Onlinehandler Zalando kommt laut EHI nur auf 230 Mio. Euro.

Bei Amazon hat sich vorerst auf APA-Anfrage noch niemand zu den Vorwürfen geäußert.