Europas digitale Zukunft

NEW BUSINESS Guides - IT- & TELEKOMMUNIKATIONS-GUIDE 2017
Die EU muss dafür sorgen, dass sich Datenströme über Grenzen und Sektoren hinweg bewegen können und Daten bestmöglich verfügbar gemacht und weiterverwendet werden. © Pixabay

Bahn frei für den digitalen Binnenmarkt

Experten schätzen, dass ein europäischer digitaler Binnenmarkt das Bruttoinlandsprodukt pro Jahr um 415 Milliarden Euro erhöhen und Hunderttausende neue Arbeitsplätze in der Europäischen Union schaffen kann.

Der digitale Binnenmarkt ist einer der ­aussichtsreichsten und anspruchsvollsten Bereiche, in denen Fortschritte möglich sind. Hier werden mögliche Effizienzgewinne von 415 Mil­liarden Euro prognostiziert. Der digitale Binnenmarkt eröffnet neue Möglichkeiten, um die Wirtschaft durch elektronischen Handel zu beleben, und den Unternehmen wird es gleichzeitig leichter gemacht, den Verwaltungsvorschriften und finanziellen Verpflichtungen zu entsprechen. Außerdem werden die Rechte der Kunden durch elektronische Behördendienste ausgeweitet. Die von Unternehmen und Behörden im Rahmen des digitalen Binnenmarkts entwickelten Dienstleistungen verlagern sich zunehmend von festen auf mobile Plattformen, die den Zugriff auf Informationen und Inhalte jederzeit, überall und mit jedem Endgerät ermöglichen (U-Commerce: allge­genwär­­tige – ubiquitäre – Geschäfts- und Verwaltungs­lösun­gen). Diese Entwicklungen bedürfen eines rechtlichen Rahmens, der zur erfolgreichen Weiterentwicklung von Cloud-Computing und grenzenlosem Mobilfunkverkehr sowie zum einfacheren Zugang zu Informationen und Inhalten beiträgt, dabei aber die Privatsphäre, die personenbezogenen Daten, die Computer- und Netzsicherheit sowie die Netzneutralität schützt.
Als Teil ihrer im Mai 2015 vorgestellten Strategie für einen digitalen Binnenmarkt hat die Europäische Kommission Anfang des Jahres politische und rechtliche Konzepte vorgeschlagen, um die europäische Datenwirtschaft voranzubringen.
Die Kommission widmet sich diesem Thema, weil die EU derzeit nicht ihr gesamtes Datenpotenzial ausschöpft. Um dies zu ändern, müssen ungerechtfertigte Beschränkungen des freien, grenzüberschreitenden Datenverkehrs beseitigt und die in verschiedenen Bereichen herrschende Rechtsunsicherheit muss behoben werden. Die Kommission stellte nun politische und rechtliche Konzepte vor, mit denen die europäische Datenwirtschaft vorangebracht werden soll. Außerdem leitete sie zwei öffentliche Konsultationen ein und nahm Gespräche mit den Mitgliedstaaten und Interessenträgern auf, um die nächsten Schritte zu konkretisieren.
„Es sollte ein freier Datenfluss zwischen Stand­orten, über Grenzen hinweg und innerhalb eines einheitlichen Datenraums möglich sein“, erklärte Andrus Ansip, für den digitalen Binnenmarkt zuständiger Vizepräsident. In Europa werden Datenfluss und Datenzugang oft durch Daten­lokalisierungsvorschriften oder andere technische und rechtliche Beschränkungen behindert. „Wenn unsere Datenwirtschaft Wachstum und Beschäftigung hervorbringen soll, müssen Daten genutzt werden. Dafür müssen sie allerdings verfügbar sein und analysiert werden können. Um das Potenzial der Datenwirtschaft auszuschöpfen, brauchen wir einen koordinierten europäischen Ansatz, der auf wirksamen EU-Vorschriften zum Schutz von Privatsphäre und personenbezogenen Daten beruht.“
Elżbieta Bieńkowska, EU-Kommissarin für den Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, erklärte: „Daten halten die New Economy in Gang. Um sicherzustellen, dass Europa in der neuen Ära der gewerblichen Wirtschaft erfolgreich ist, brauchen wir einen soliden, vorherseh­baren Rechtsrahmen für die Datenströme im Binnenmarkt. Klare Regeln für Datenzugang, Datensicherheit und Haftungsfragen sind für europäische Unternehmen, KMU und Start-ups von zentraler Bedeutung, denn nur damit können diese das Wachstumspotenzial des Internets der Dinge voll ausschöpfen. Statt digitale Grenzzäune zu ziehen, sollten wir uns darauf konzentrieren, eine europäische Datenwirtschaft zu schaffen, die voll in die globale Datenwirtschaft integriert ist und mit ihr mithalten kann.“

„Towards a Franco-German Digital Valley“
Laut einer Studie der Unternehmensberatung Roland Berger können europäische Start-ups aktuell im Vergleich zu ihrer amerikanischen ­Konkurrenz lediglich auf ein Fünftel von deren Risikokapital zurückgreifen. Auch bei der Entwicklung von „Unicorns“ (Startup-Unternehmen mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar) steht Europa deutlich hintan: Weltweit stammen 39 Prozent aus dem Silicon Valley, nur elf Prozent sind europäischen Ursprungs. Um diese Entwicklung zu durchbrechen, haben die Digitalexperten von Roland Berger die einschlägigen Voraussetzungen von Deutschland und Frankreich analysiert. Unter dem Titel „Towards a Franco-German Digital Valley“ haben sie daraus ein Konzept für ein gemeinsames Digital Valley entwickelt. „Wir sollten enger zusammenarbeiten und dabei nicht einfach nur eine Lücke schließen wollen“, sagt Charles-Édouard Bouée, CEO von Roland Berger. „Es geht vielmehr darum, dass unsere Unternehmen das Tempo des technologischen Wandels gegenüber den USA und Asien mitbestimmen. Dazu sollten Frankreich und Deutschland, wie vor über 50 Jahren bei der Gründung der Montanunion, ihre jeweiligen Stärken einbringen. Ein gemeinsames Digital Valley ist ein erster Schritt, um Europa als Weltmarktführer bei den Technologiethemen der Zukunft – wie der künstlichen Intelligenz – zu etablieren.“ Allerdings gibt es sowohl in Frankreich als auch in Deutschland verschiedene Defizite, die Europas Aufbruch in die digitale Zukunft noch im Weg stehen. „Zum Beispiel ist der Zugang zu Risiko­kapital für Start-ups in beiden Ländern ausbau­fähig“, stellt Roland-Berger-Partner Anne Bioulac fest. „In Frankreich werden Investoren von den fiskalischen Rahmenbedingungen abgeschreckt, in Deutschland herrscht allgemein eine eher risiko­scheue Kultur.“ Zusätzlich fehlt in Frankreich ein ausreichendes Cloud-Angebot. Und obwohl Deutschland in diesem Bereich besser aufgestellt ist, wird der Markt weiterhin von amerikanischen Lösungen dominiert. „Die europäischen Unternehmen sind für Sicherheitsfragen natürlicherweise sensibilisiert. Daher vertrauen sie nicht mehr auf Cloud-Lösungen aus den USA“, erläutert Philipp ­Leutiger, Partner von Roland Berger. Aus diesem Grund existieren in Europa viele nationale Lösungen, die aber nicht die kritische Masse erreichen, um rentabel wirtschaften zu können. (BO)