Mobilfunk-Revolution

NEW BUSINESS Guides - AUTOMATION-GUIDE 2018
Selbstfahrende Autos, mit Menschen kollaborierende Roboter und viele weitere „smarte“ Technologien benötigen extrem schnelle und zuverlässige Kommunikationssysteme. © shayne_ch13/Freepik

Mehr Bandbreite, mehr Möglichkeiten

5G, das nächste Mobilfunknetz, das bis zu 100-mal schneller sein soll als bisherige Standards, wird in der vernetzten Industrie zum entscheidenden ­Erfolgsfaktor.

Die für Herbst 2018 geplante Versteigerung der Frequenzen für den neuen Mobilfunkstandard 5G wirft schon ihre Schatten voraus. Gern übersehen wird, dass es dabei nicht nur um mehr Bandbreite geht, sondern um eine Plattform, die gänzlich neue Geschäftsmodelle für eine noch gar nicht absehbare Anzahl von Branchen bieten wird, erklärten Experten bei einer Podiumsdiskussion der Plattform Digital Business Trends (DBT) Ende März in Wien.
„5G ist die Voraussetzung für Wachstum in verschiedensten Industrien, nicht nur für den Mobilfunk. Das hat enormes Potenzial“, so Johannes Gungl, Geschäftsführer der Regulierungsbehörde RTR für den Fachbereich Telekommunikation und Post. Es gehe um mehr als schnelleres Surfen, auch wenn beim Datenhunger der Kunden kein Ende absehbar sei und die Netze schon spürbar voller werden. Als Beispiel nannte Gungl das Internet der Dinge. Für die Vernetzung – etwa von Sensoren in Ampeln – brauche es nur kleine Datenmengen. Für kritische Anwendungen, man denke an Teleoperationen oder autonom fahrende Autos, biete 5G eine höhere Verlässlichkeit und schnellere Reaktionszeiten. Diese Features würden der Industrie viele Möglichkeiten eröffnen – von der vernetzten Fabrik über den Unterhaltungs­bereich bis zur Smart City. Die Mobilfunker wiederum erhielten mit 5G höhere Kapazitäten bei mehr Energieeffizienz und damit ein kostengünstigeres Netz. Künftig würden aber weitere Player auftauchen, die sich auf bestimmte Herausforderungen spezialisieren – etwa im Bergbau oder in der Holzindustrie – und die Konnektivität bei Mobilfunkern zukaufen. Zudem könnten Unternehmen möglicherweise selbst Frequenzen erwerben, um beispielsweise in der Fabrik selbstständig arbeitende Roboter einzusetzen. Dafür werde es auch ein unlizenziertes Frequenzspektrum geben.

5G im Fokus der Industrie
5G-Netze gelten als wichtiger Beitrag für die Umsetzung von Industrie 4.0 und sind ein elementarer Bestandteil bei der Digitalisierung der Produktion und bei neuen Wertschöpfungssystemen. Wenn permanent kabellos Maschinendaten gesammelt werden, während gleichzeitig digitale Assistenzsysteme, wie beispielsweise Datenbrillen, verbunden im Einsatz sind, bedarf es leistungsstarker Mobilfunknetze. „Herausforderungen, die mit der Digitalisierung einhergehen, sind also der geschickte Datentransport und das Schaffen der dafür notwendigen Infrastruktur“, verdeutlicht Patrick Benjamin Bök, Leiter des Bereichs Global Digitalization bei Weidmüller. „Vor dieser He­rausforderung stehen nicht nur wir als Unternehmen, sondern auch andere Industriezweige, wie beispielsweise die Automobilindustrie.“
„Damit das im industriellen Umfeld funktioniert, müssen jedoch besondere Anforderungen erfüllt werden“, ergänzt Jan Stefan Michels, Leiter der Standard- und Technologieentwicklung bei Weidmüller. „Dazu gehören zum Beispiel die absolute Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit der Kommunikation auch unter den rauen Bedingungen in der Produktion, die Möglichkeit des Betriebs ‚privater‘ 5G-Netzwerke ohne zwingende Einbindung von Mobilfunkprovidern und die Diagnose und Fehlerbehebung bei Nutzung von providerbetriebenen Netzen. Gleichzeitig müssen wir gemeinsam mit den Mobilfunkprovidern Geschäfts­modelle für die Machine-to-Machine-Kommunikation entwickeln, weil sie grundsätzlich anders betrieben wird, als wir das vom Smartphone und der Telefonie her kennen.“
Damit diese Anforderungen bei der Entwicklung und Einführung des Standards berücksichtigt werden, hat sich im letzten Jahr der Zentralverband der Elektroindustrie (ZVEI) dieses Themas angenommen. Michels ist als Experte in dem Arbeitskreis vertreten und bringt seine Erfahrungen ein: „Wichtig ist es, einheitliche Standards zu schaffen“, verdeutlicht der Technologieexperte. „Mit 5G werden Technologien und Mechanismen entwickelt und getestet, die eine zukunftsfähige Kommunikation sicherstellen sollen – und viele Anwendungsfelder liegen in der Vernetzung der Industrie.“
Zukünftig seien in diesem Bereich zwei Szenarien möglich: Sofern ein 5G-Mobilfunknetz von einem Mobilfunkanbieter vorhanden ist, können Geräte und Maschinen mit 5G-Schnittstellen ausgestattet werden und sich in das Netz ein­wählen. „Die Technologien und Mechanismen, die mit 5G entwickelt werden, lassen sich aber auch auf die eigene, lokale Infrastruktur, wie das eigene Maschinennetzwerk eines Produktions­betriebs, übertragen“, erklärt Michels. In diesem Fall werden Maschinen nicht in das Netzwerk eines Mobilfunkserviceproviders eingebunden, sondern in ein privates. Eine Lösung, die aktuell vom ZVEI bevorzugt wird, da Unternehmen hier nicht auf die Einführung von 5G bei den Mobilfunkanbietern warten müssten.

Internationales Forschungsprojekt
Neben dem Engagement im ZVEI treibt Weidmüller das Thema auch auf internationaler Ebene voran. Gemeinsam mit 16 weiteren Projekt­partnern, wie dem Mobilfunkanbieter Telefónica und den Endgeräteherstellern Huawei und Nokia, engagiert sich Weidmüller in einem internationalen Projekt. „Im Rahmen des Forschungsprojekts 5GTANGO, das von der EU über das Förderprogramm ‚Horizon 2020‘ mitgetragen wird, sollen Maßnahmen zur Qualifizierung von Services umgesetzt werden, die 5G-Netzwerke flexibel programmierbar und damit besser skalierbar machen“, erklärt Bök, der das Projekt bei ­Weidmüller betreut.
Für das Unternehmen, das sich immer mehr auf Digitalisierungs- und Automatisierungslösungen spezialisiert, ergeben sich bei 5GTANGO Synergien als Anwender in der eigenen Fertigung und als Anbieter von Lösungen für die Digitalisierung. Mit dem Piloten „Smart Manufacturing“ ermöglicht Weidmüller ein industrielles Anwendungsszenario. In einer Produktionshalle in Detmold wir dazu ein sogenanntes Industrial-Internet-of-Things-Testbed (IIoT-Testbed) genutzt. „Wir ­stellen aber nicht nur die Infrastruktur bereit, sondern definieren auch Anforderungen aus industrieller Sicht und unterstützen die forschenden Partner, wie die Universität Paderborn, beim Validieren und Verifizieren der entwickelten Services“, sagt Bök. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Unterstützung bei der Verbreitung und der Berichterstattung gemeinsam mit den Projektpartnern der EU-Kommission.

5G-Funktechnologie für flexible Fertigungs­straßen
Hersteller arbeiten weltweit mit Hochdruck an der Entwicklung der neuen 5G-Technologien, die vor allem für künftige Internet-of-Things-Anwendungen zum Einsatz kommen sollen. Auch das AIT Austrian Institute of Technology besitzt eine besondere Hightech-Kompetenz im Bereich intelligenter Antennen und Funkwellenausbreitung in anspruchsvollen dynamischen Umgebungen. Gemeinsam mit Siemens Österreich wurde kürzlich die Entwicklung von sogenannten Low-Latency-Schlüsseltechnologien im Forschungsprojekt UNWIRE gestartet. Das Projekt wird im Rahmen des vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) geförderten Programms „Produktion der Zukunft“ der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) finanziert.
Thomas Zemen, führender Experte für 5G-Systeme und Projektleiter am AIT: „Wir messen die Eigenschaften der Funkwellen in komplexen und großflächigen Industrieumgebungen. Die Messdaten werden verwendet, um die Leistung von künftigen industriellen Funksystemen zu beurteilen. Mit diesem Konzept können wir die effektivsten Signalverarbeitungsalgorithmen und Diversitätsmechanismen für den robusten Betrieb eines drahtlosen Kommunikationssystems in realen industriellen Szenarien untersuchen und validieren. Damit ermöglichen wir flexible Produktionsverfahren, die eine erhöhte Auslastung ermöglichen und die Umrüstungskosten minimieren.
„Die Anforderungen an Funkverbindungen, die als Ersatz für Verkabelungen im industriellen Umfeld dienen, sind besonders anspruchsvoll. Sicherheitsanforderungen und Produktionseffi­zienz erfordern eine extrem hohe Verfügbarkeit, und die Latenz für hochdynamische Regelvorgänge muss sehr gering sein“, meint Martin Schiefer, Leiter der Radio-Frequency-Research-Gruppe der Siemens Corporate Technology in Wien.
Das Forschungsprojekt UNWIRE ermöglicht ­Siemens, die optimale Funklösung für den in­dustriellen Einsatz der Zukunft zu entwickeln, 5G basiert und darüber hinaus. (BO)