Die Apotheke Österreichs.

NEW BUSINESS Bundeslandspecial - TIROL 2025
Runde eine Milliarde Patienten in aller Welt werden mittlerweile mit Penicillinen „made in Tirol“ versorgt. © Sandoz/Peter Ginter

Mit Sandoz und Novartis ist die Konzentration der Pharma-Industrie kaum wo im Land so hoch wie in Kundl. Beide Unternehmen werden zudem von Frauen geführt.

Es rattert und klackert. Unaufhörlich verschwinden winzige Fläschchen in einer riesigen Produktionsanlage. Bis zu 240 Millionen Packungen Antibiotika verlassen das Sandoz-Werk in der Tiroler Marktgemeinde Kundl (Bezirk Kufstein) jährlich. Der Pharmariese Sandoz mit Hauptsitz Basel (Schweiz) gilt weltweit als einer der bedeutendsten Hersteller von generischen Antibiotika-Wirkstoffen und -Fertigarzneien.

In Tirol wird seit knapp 80 Jahren (Gründungsjahr 1946) produziert. Das Werk in Kundl ist auf biotechnologisch hergestellte Arzneimittel – von der Forschung und Entwicklung bis zur Produktion – spezialisiert und gilt als einer der zentralen Entwicklungs- und Produktionsstandorte des Konzerns, der weltweit einen Umsatz von rund 10 Milliarden US-Dollar generiert. An seinem Standort in Kundl beschäftigt das Unternehmen rund 2.400 Menschen. Das Sandoz-Werk am Inn gilt mittlerweile als das einzige in Europa mit einer durchgängigen oralen Antibiotika-Produktionskette. Runde eine Milliarde Patienten in aller Welt werden mittlerweile mit Penicillinen „made in Tirol“ versorgt.

Millionen und Milliarden
Als „Drehscheibe und Zentrum unserer Antibiotikaproduktion, ein wahres Leuchtturmprojekt“, bezeichnete Richard Saynor, CEO von Sandoz, schon 2024 das Werk in Kundl. Das Unternehmen hatte in den Jahren davor ein Investitions­paket von 200 Millionen Euro für den Tiroler Standort beschlossen, von denen ein Viertel in die Werkserweiterung in Kundl flossen und 150 Millionen in den Aus- und Aufbau von Penicillin-Produktionsanlagen.

Im Frühjahr 2024 wurde schließlich eine völlig neue Produktionslinie eröffnet. Mit der neuen Anlage und automatisierten Produktionslinien wurde die Produktionskapazität um 20 Prozent oder eine Milliarde Tabletten auf 240 Millionen Packungen pro Jahr erhöht. Das bedeutete in Summe sogar mehr als eine Verdoppelung des Produktionsniveaus gegenüber jenem im Jahr 2021.

Von Sandoz selbst wurde dieses Investment als „ein weiterer Schritt im Bekenntnis zu Österreich als integralem Bestandteil eines nachhaltigen und hochwertigen europäischen Produktionsnetzwerks“ gesehen. 

Penicillin und Tiroler Milch
Zucker gilt als wichtiger Grundstoff für die Penicillin-Produktion, er dient als Nährstoff für den Penicillin-Pilz. Wegen instabilerer internationaler Lieferketten und einer Preisexplosion des Rohstoffs in den vergangenen Jahren suchte Sandoz nach alternativen Zuckerquellen und wurde bei den Bauern der Region fündig. Seit dem Frühjahr setzt das Unternehmen verstärkt Laktose (Milchzucker), ein Nebenprodukt aus der Käseproduktion, für das Herstellen von Penicillin ein. Die Laktose aus Tiroler Milch liefert ein regionaler milchverarbeitender Betrieb an Sandoz.

„Unsere Entscheidung, Laktose aus Tiroler Milch für die Penicillin-Produktion zu verwenden, ist ein bedeutender Schritt in Richtung Nachhaltigkeit und Regionalität. Wir investieren nicht nur in nachhaltige Technologien, sondern stärken auch unsere Verbindung zur Region und verbessern die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts“, erklärt Stephanie Jedner, Werksleiterin in Kundl. 

Der nächste Investitionsschub folgt in diesem Jahr. Sandoz investiert rund 12 Millionen Euro in den Ausbau einer bestehenden Produktionsanlage zur Einführung eines neuen Wirkstoffs am Standort Kundl. Die neue Substanz zeichnet sich – laut Sandoz – durch eine hohe Wirksamkeit als Erstlinienbehandlung bei bakteriellen Infektionen aus und minimiert gleichzeitig das Risiko der Entwicklung antimikrobieller Resistenzen (AMR). Mit der Einführung dieses Wirkstoffs wird die jährliche Produktionsmenge im Tiroler Werk um 200 Tonnen auf insgesamt 4.400 Tonnen pro Jahr gesteigert. Exportiert wird in mehr als 100 Länder.

Neben der Produktion in Kundl betreut Sandoz mit einer eigenen Niederlassung in Kufstein den Business-to-Business-Sektor in Österreich. Die Unternehmenszentrale befindet sich in Wien, wo u. a. Marketing und andere Abteilungen angesiedelt sind. Geleitet wird die Gruppe in Österreich von CEO Hannes Wörner, als Country President Österreich fungiert Marco Pucci. 
 
Familienbande und Scheidung
Die Verhältnisse sind kompliziert. Denn mit Novartis hat noch ein zweites Pharma-Unternehmen seine Zelte in Kundl aufgeschlagen, bis Oktober 2023 sogar in familiärer Zweisamkeit mit Sandoz produziert. Novartis Österreich rechnete Sandoz zur eigenen Unternehmensgruppe, ehe der Mutterkonzern, ebenfalls mit Hauptsitz in Basel und selbst Teil der Roche-Gruppe, im Oktober 2023 auf globaler Ebene die Sandoz-Gruppe abstieß.

Erst rund zwei Jahrzehnte davor hatte Novartis seine Tochtergesellschaften für die Herstellung und den Vertrieb patentfreier Arzneimittel unter dem Markendach Sandoz gebündelt. Die ausgegliederte Sandoz Group notiert heute an der Schweizer Börse in Zürich, zu ihren Aktionären zählen u. a. die Sandoz Family Foundation und verschiedene Investmentfonds.

Tiroler Biotech-Campus
Novartis bündelte seine Tiroler Standorte in Kundl und Schaftenau zu einem Biotech-Campus, der nach eigenen Angaben zu den „größten und technologisch führenden von Novartis weltweit“ zählt. Das Unternehmen entwickelt und produziert in Tirol seit rund einem Vierteljahrhundert Biopharmazeutika und Devices. In Kundl wurde u. a. 2023 eine eigene Zellkulturanlage errichtet. In den vergangenen Jahren hat Novartis in Tirol insgesamt rund 500 Millionen Euro in den Ausbau der Fertigungsanlagen investiert und gibt heute rund 3.300 Beschäftigte und 1,9 Mrd. Euro Umsatz an.

Erst seit April dieses Jahres zeichnet die Frankokanadierin und Pharmazeutin Catherine Emond als Country President Österreich für die Novartis-Aktivitäten hierzulande verantwortlich. (ALS)