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NEW BUSINESS Innovations 1/2017

INNOVATIVE INDUSTRIE FEBRUAR 2017 | INNOVATIONS • NEW BUSINESS 27 Frau Lanza, wie beeinflusst Industrie 4.0 die Qualitätssicherung und die Messtechnik? GISELA LANZA: Durch die immer mehr an Bedeutung gewinnende Sensorik werden wir sicherlich sehr viel mehr Messdaten sammeln können und so komplexe Zusammenhänge besser erkennen. Ich wage sogar die Hypothese, dass wir künftig 100 Prozent aller wichtigen Messwerte aufnehmen. 100-Prozent-Prüfung heißt: Qualitätsdaten – also alle kritischen Kennwerte – werden nicht mehr stichprobenartig, sondern 100-prozentig erfasst. Das verändert die Qualitätsregelung radikal, denn wir können nun sehr viel näher an die Toleranzgrenzen herangehen. Wie sieht Ihrer Meinung nach die Qualitätsregelung der Zukunft aus? Ich setze auf intelligente, adaptive Qualitätsregelstrategien. Ein Beispiel hierfür kann eine Wiederbelebung von Pairing-Strategien sein, die Produktionsleute aufgrund des komplizierten mathematischen Ansatzes und des logistischen Aufwandes oft hassen. Dabei kommen Bauteile mit unterschiedlichen Qualitätsmerkmalen paarweise zum Einsatz, um Funktionen der Baugruppe mit sehr hohen Toleranzanforderungen gemeinsam zu erfüllen. Pairing-Strategien bieten sich an, wenn nicht mehr jedes produzierte Bauteil die geforderten Toleranzen erfüllen kann. Ein Beispiel dafür sind die Einspritzdüsen von Motoren, die mit einem Betriebsdruck von zukünftig bis zu 3.000 bar arbeiten müssen. Der konsequente Einsatz von Inline-Messtechnik ermöglicht dabei noch intelligentere, bauteilindividuelle Paarungen in Kombination mit der dynamischen Anpassung von Fertigungsparametern, die vielfältige neue Möglichkeiten eröffnen. Wird das Erfassen von Daten innerhalb der Fertigungslinie also zunehmen? Ja. Es besteht ein Trend zu mehr Inline-Messtechnik oder sogar zu prozessintegrierter Messtechnik, die möglichst kurze Regelkreise erlaubt. Messungen nden nicht mehr im separaten Messraum, sondern direkt in der Produktion statt. Es steigt damit der Bedarf an modular angewandter Messtechnik in Anlagen und Produktionslinien, Standardmessgeräte sind weniger gefragt. Die Messtechnik wandelt sich zum Projektgeschäft, in dem die kundenspezi sche Anwendung wettbewerbsentscheidend ist. Stichwort Sensorintegration: Lässt sich eine Werkzeugmaschine in eine Messmaschine verwandeln? Das Ziel besteht schon seit einiger Zeit, und es ist nach wie vor eine sehr spannende Aufgabe. Aber es gibt noch viele Herausforderungen: zum Beispiel hohe Kosten und Störein- üsse aus der Produktion wie Temperatur oder Schmutz. Außerdem erfordern typische Zerspanteile oft sehr hohe Messgenauigkeit. Gefragt ist zudem ein unabhängiger metrologischer Rahmen, der idealerweise ein Messen parallel zur Bearbeitung – also sogenanntes hauptzeitparalleles Messen – ermöglicht. Das Messen mit der Werkzeugmaschine ist aber heute schon Standard bei Hochpräzisionsprodukten. Ein Beispiel dafür ist die Dieselinjektoren-Produktion bei Bosch. Wenn die Werkzeugmaschine und die Produktion mit Hilfe von Sensorik mehr Daten erfassen können: Was bedeutet das für die Signalverarbeitung mit Blick auf Echtzeitfähigkeit? Technisch treten an die Stelle von Einzelsensoren verteilte Sensornetzwerke, denn eine vernetzte Infrastruktur ist eine wesentliche Voraussetzung, um die Potenziale der Inline-Messung ef zient zu nutzen. Gefragt ist eine intelligente, verknüpfte Auswertung der Daten. Der Fachmann spricht dabei von einer Fusion von Daten mehrerer Sensoren, die zu einem kombinierten Messergebnis führen. Um komplexe Prozesszusammenhänge zu erklären, eignen sich sogenannte Data-Mining-Algorithmen wie zum Beispiel neuronale Netze. Es kommt also darauf an, die aussagekräftigen Datenkorrelationen herauszu ltern. Welche Rolle spielen dann Qualitätsdaten, die in der Fabrik von morgen erzeugt werden? Lässt sich das entstehende Big-Data-Volumen überhaupt noch beherrschen und bewältigen? Aktuell lässt es sich noch schwer abschätzen. Grundvoraussetzung dafür ist eine einheitliche Software-Architektur. Wenn diese mit einheitlichen Datenstrukturen und Schnittstellen als Grundlage etabliert ist, setze ich aufbauend auf eine schrittweise Steigerung der Komplexität – vom Erfassen der Daten bis hin zu adaptiven, selbstlernenden Regelkreisen.


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