Roboter-CEO: Mensch vs. Maschine

NEW BUSINESS - NR. 10, DEZEMBER 2017
Experten prognostizieren transformative Wirkungen durch KI in ­vielen Bereichen: Consumer, Wirtschaft und Behörden. © Fotolia/ktsdesign

Ganze Wirtschaftszweige werden durch die Digitalisierung einen tiefgreifenden Wandel erfahren. Unter all den Veränderungen:

Wie realistisch ist ein Szenario, in dem künstliche Intelligenzen bis in die Chefetagen vordringen und dort Einfluss auf Entscheidungen nehmen?

"Mein Chef ist ein Roboter!“ Meist deutet diese Beschreibung des Charakters einer Führungskraft auf nicht besonders positive oder gar beliebte Eigenschaften hin, gehen mit ihr doch Gefühlskälte, Emotions- und Empathielosigkeit einher. Gleichzeitig werden Robotern aber auch Effizienzsteigerung, Perfektionismus und unermüdlicher Arbeitseifer zugeordnet. Eigenschaften, die in Führungspositionen durchaus vorteilhaft sein können. Mit dem zunehmenden Wandel hin zu einer vernetzten, digitalen und automatisierten Welt werden wir uns auf zahlreiche grundlegende Veränderungen im Alltags- und Berufsleben einstellen müssen. Ist darunter auch jenes Szenario, in dem künstliche Intelligenzen in die Chefetage von Unternehmen vordringen werden?
Doch fangen wir ganz von vorne an: Unter künstlicher Intelligenz (KI) wird der Versuch verstanden, Computern menschliche Intelligenz und damit Verhalten beizubringen. Experten sagen der Technologie und dem Markt eine glänzende Zukunft voraus. Das Marktvolumen wurde 2016 mit 643,7 Millionen US-Dollar beziffert. Bereits 2017 soll es sich verdoppeln. Bis 2025 soll der KI-Markt auf 36,8 Milliarden US-Dollar ansteigen und bereits zehn Jahre später wird ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts von Österreich durch künstliche Intelligenz erzeugt werden. Mit dem rasanten Voranschreiten der Technologien wird auch der vielzitierte digitale Arbeitsplatz immer mehr zur Realität. Zu den Teams, die physisch zusammenarbeiten und kommunizieren, werden zunehmend „virtuelle Mitarbeiter“ hinzukommen. Diese existieren im physischen Sinne zwar nicht, spielen aber dennoch eine wichtige Rolle im Unternehmen.
Der Chef des chinesischen Internet-Konzerns Alibaba rechnet bereits damit, dass Roboter als Vorgesetzte und sogar CEO von Unternehmen zum Einsatz kommen werden – sie seien objektiver und weniger empfindlich als Menschen. Fest steht: Der Einsatz künstlicher Intelligenz, die fortschreitende Automatisierung und das Internet der Dinge sowie die Verknüpfung dieser Technologien wirken sich auf den Arbeitsmarkt aus. Zwischen Panikmache wegen angeblicher Massenentlassungen und allzu optimistischen Prognosen bleibt oft wenig Raum für die nüchterne Betrachtung: Welche Kompetenzen wird der Robo-Boss haben und welche Rolle wird der Mensch in dieser digitalen Welt einnehmen?

Kreativ statt monoton
Als Gegenentwurf zur recht unheimlichen Vision vom Robo-Boss wird es beim Führen nun noch stärker auf Einfühlungsvermögen und Unterstützung ankommen. „Bei Mitarbeitern löst die Vorstellung, dass Maschinen ihre Jobs übernehmen könnten, Verunsicherung aus. Dem sollten Führungskräfte aktiv und verständnisvoll begegnen“, empfiehlt Barbara Stöttinger, Dekanin der WU Executive Academy. So wie sich die KI erst das Vertrauen der Menschen erarbeiten muss – man denke nur an den Einsatz selbstfahrender Autos –, braucht es im Gegenzug Verständnis für die Sorge der Mitarbeiter, welche Rolle sie als Menschen noch im Unternehmen spielen werden.
Während monotone Tätigkeiten zunehmend an die Maschinen ausgelagert werden, können Kreativität und soziales Verhalten kaum ersetzt werden. Neue Jobs entstehen, für die es heute noch gar keine Bezeichnungen gibt. Die Übernahme von Routinearbeiten und der Ersatz menschlicher Mitarbeiter in diesen Bereichen verändert auch die Struktur der Unternehmen – in Zukunft werden noch mehr qualifizierte Fachkräfte nötig sein, die auch in puncto Bezahlung höhere Ansprüche stellen. Eines steht daher fest: „Je besser qualifiziert die menschlichen Mitarbeiter sind, desto eher behalten sie ihren Job. Und wenn neue Jobs benötigt werden, dann vor allem im Führungsbereich – eine Studie des Beratungsunternehmens Capgemini rechnet vor, dass zwei von drei neuen Stellen im Führungsumfeld entstehen werden“, so Stöttinger.

Spagat: Vertrauen schaffen und Spielraum geben
Fest steht auch, dass von Führungskräften zunehmend verlangt wird, dass sie selbst Wissen und Gespür für neue Technologien haben. Informationstechnologie einfach der IT-Abteilung zu überlassen, ist heute zu wenig, denn die Digitalisierung durchdringt alle Bereiche. Zwischen grenzenloser Euphorie und Ablehnung gilt es für Unternehmen, den richtigen Weg beim Einsatz künstlicher Intelligenz zu finden: Was macht für mich tatsächlich Sinn, wo stecken neue Geschäftsmodelle? Von Führungskräften werden mehr als bisher klare Aussagen erwartet – auch das bedeutet für sie einen ständigen Lernprozess, so, wie die gesamte Organisation ständig lernen muss. Einerseits Vertrauen schaffen und die Mitarbeiter bei den Umstellungsprozessen begleiten, andererseits den hochqualifizierten Fachkräften ausreichend Spielraum für eigene Ideen und Entwicklung zu geben – dieser Spagat wird für Führungskräfte selbstverständlich werden.

Eine Frage der Ethik
„Künstliche Intelligenz ermöglicht Effizienzsteigerung und das Vordringen in neue Geschäftsfelder. Allerdings braucht es eine umfassende Strategie, wie das in die tägliche Arbeit der Mitarbeiter integriert wird und welche Vorteile das konkret bringt“, sagt Barbara Stöttinger. Ethische Fragen rund um intelligente Maschinen und Roboter-Arbeiter müssen indes nicht nur von Unternehmen, sondern vor allem von Staat und Gesellschaft beantwortet werden. Das betrifft einerseits grundlegende Themen wie die Arbeitswelt der Zukunft im Allgemeinen und andererseits die Grenzen der maschinellen Wirkungsbereiche bzw. welche Chancen und Möglichkeiten sich daraus für uns Menschen ergeben. (MW)

INTERVIEW
Barbara Stöttinger, Dekanin der WU Executive Academy, über Führungsqualitäten in einer digitalen Welt

Ist die Sorge, dass künstliche Intelligenzen Mitarbeitern den Job wegnehmen, bereits in den Büros angekommen?
Ich denke, Sorge ist nie ein guter Berater. Worum es vielmehr geht, ist, sich eine qualifizierte Meinung bilden zu können. Dazu ist es gut, wenn ein Thema emotionalisiert. Wann immer es in der jüngeren Geschichte um große technologische Fortschritte gegangen ist, dann waren diese von umfassenden Strukturveränderungen begleitet. Und auch immer von der Sorge, ob dadurch Arbeitsplätze verloren gehen. Und so ist es auch mit künstlicher Intelligenz: Sie wird in bestimmten Jobs Menschen ersetzen, etwa Taxi- und Lastkraftwagenfahrer durch selbstfahrende Autos. In den meisten Bereichen wird künstliche Intelligenz aber dazu dienen, Menschen bestimmte Aufgaben abzunehmen, und nicht, um sie vollständig zu ersetzen.

Zwei von drei neuen Stellen sollen laut Beratungsunternehmen Capgemini im Führungsumfeld entstehen. Mit welchen Fähigkeiten können sich Führungskräfte gegen eine mögliche „technische Konkurrenz“ und gegen die aus den eigenen Reihen durchsetzen?
Wenn es um standardisierte Aufgaben geht, darum, große Datenmengen in kurzer Zeit auszuwerten, dann hat das menschliche Gehirn überhaupt keine Chance gegenüber einer hochtechnologisierten Maschine. Ich sehe aber die künstlichen Intelligenzsysteme vielmehr als qualifizierte Entscheidungsunterstützung: Das Automatisieren von Aufgaben und sogar von Entscheidungsfindungen macht Führungskräfte definitiv produktiver und reaktionsfähiger. Wenn es aber um semantische Aspekte geht, darum, Informationen aufgrund von eigenen Erfahrungen in einem bestimmten Kontext zu bewerten, dann gibt es viele Bereiche, in denen Menschen Robotern überlegen sind: zum Beispiel die Fähigkeit zu kritischem Denken und die Kreativität, aber auch die Gabe, bewusst Entscheidungen zu treffen, die konträr zu rationalen Überlegungen sind, um eine Veränderung in einem bestimmten Bereich herbeizuführen. Es geht also um Abstraktion, um komplexe Zusammenhänge zu einen größeren Ganzen zusammenzuführen, darum, Neues entstehen zu lassen, indem man bewusst auf den ersten Blick irrational scheinende Umwege in Kauf nimmt.

In der Theorie ist der Roboter-Boss fair, hat niemals schlechte Laune und kümmert sich nicht um Hautfarbe, Sympathie oder Religion. Welche Nachteile sehen Sie dennoch auf uns zukommen, wenn Aufgaben durch künstliche Intelligenzen verteilt werden?
Vielleicht sind Robo-CEO in ihren Entscheidungen bisweilen objektiver. Wenn es aber darum geht, Menschen als Beziehungswesen in ihrer Kreativität zu fördern, zu motivieren, Ideen nachzuverfolgen oder negative Emotionen in positive Energie umzuwandeln, stoßen Roboter an ihre Grenzen. Ob es zukünftig Roboter-Chefs geben wird, ist aber weniger eine technische als eine rechtliche und kulturelle Frage. In Gesellschaften wie Japan oder Korea, wo das Thema künstliche Intelligenz auf breite Akzeptanz stößt und viel mehr die Chancen als die Gefahren im Vordergrund stehen, lässt man sich eher etwas von einem Roboter vorschreiben als etwa in Europa. Fest steht, dass durch die Automatisierung von Aufgaben und Entscheidungsfindungen die Effizienz gesteigert und standardisierte Abläufe ökonomischer abgewickelt werden können. Wie sich diese Entwicklung auf die Unternehmenskultur auswirken wird und welche gesellschaftlichen Konsequenzen sie mit sich bringt, ist derzeit Gegenstand unzähliger Forschungsprojekte.